Im Winter 2011 überlegte ich mir zum ersten Mal, mich weiterzubilden. Mein Gehirn lechzte nach über zehn Jahren reinem «on the job doing» nach Futter, nach Stoff, nach Theorie, nach Herausforderung. Im September 2012 begann ich also hochmotiviert und begeistert mit einer anderthalbjährigen, berufsbegleitenden Weiterbildung. Berufsbegleitend hiess in meinem Fall: jeweils ein Modul im Monat für drei bis vier Tage am Stück. Die ausfallenden Büro-Tage musste ich vor- und nacharbeiten. Eine Doppelbelastung. An den Wochenenden schrieb ich Zusammenfassungen von den Modulen, um nicht kurz vor der Prüfung alles abarbeiten zu müssen. Ohne meinen Mann hätte ich das aber nicht hingekriegt. Mein Mann, der ohne eine Miene zu verziehen LadyGaga unter dem Arm packte und mit ihr rausging, raus auf den Spielplatz, vors Haus, einkaufen, in den Garten. Weg von mir, damit ich in Ruhe büffeln konnte. Denn eines merkte ich ziemlich schnell: Unter der Woche, nach der Arbeit, nachdem LadyGaga endlich im Bett war – da ging gar nichts mehr. Es war schlichtweg unmöglich für mich, nach einem normalen Arbeitstag noch für die Schule zu lernen. Das war während des Studiums viel einfacher gewesen. Damals konnte ich bis 4 Uhr morgens, bis in alle Ewigkeit am PC sitzen und tun und lassen, was und wie ich es wollte (am liebsten mit Zigarette und Weinglas in der Hand!). Ich merkte schmerzlich, dass das nicht mehr möglich für mich war, denn ich war schlichtweg zu müde vom Alltag.
Im Sommer 2013 wurde ich wieder schwanger. Unsere Freude war gross, aber meine Angst auch. Die Wahrheit ist: Es war hart, sehr hart, diesen Herbst nicht nur als Mutter, sondern auch als Schwangere für die Weiterbildung zu büffeln. Ich war und bin immer müde, obwohl ich eigentlich eine Powerfrau bin oder mich zumindest gerne so sehe. Aber ich wusste, wenn jemand es schafft, im 8. Monat an die Abschlussprüfung zu gehen, dann ich. Zuerst musste ich aber am 31. Oktober 2013 meine 30-seitige Diplomarbeit abgeben. Die gab es ja auch noch. Und wenn man abends immer zu müde ist, bleibt wieder nur das Wochenende zum Schreiben. Einige Male haben zudem meine Schwiegereltern LadyGaga an einem Freitag zu sich genommen. Am 31. Oktober unter Hochdruck dann die Abgabe der Diplomarbeit. Erleichterung. Und die mündlichen Prüfungen vom 5. und 6. Februar 2014 waren ja noch so weit weg. Luft holen.
Plötzlich war Weihnachten und ich musste mich sputen, weiter büffeln, recherchieren, eine 15-minütige PPT-Präsentation zu meiner Diplomarbeit vorbereiten. Die Zeit verging so schnell, und ich hatte keine Lernnächte zur Verfügung. Mein Bauch wurde immer runder und runder. Als mein Hobby konnte ich mittlerweile «schlafen» angeben. Am 1. Januar hatte ich alle Unterlagen (5 Bundesordner!) so weit zusammengekürzt, dass ich eigentlich nur noch auswendig lernen musste. Und ich merkte wieder: Das geht gar nicht. Also musste ich mir Lernoasen schaffen. Zwei Wochen vor der Prüfung gab ich auf: ich bin 36, es sind mündliche Prüfungen und ich habe einen riesigen Erfahrungsschatz aus der Praxis. Ich manage zudem tagtäglich mein Leben mit Job, Kind, Ehe, Haushalt. Dieses Know-how musste ich doch für die Prüfung irgendwie nutzen können. Ich schaltete also einen Gang zurück, weil ich darauf vertraute, dass ich es irgendwie hinkriege. Man ist ja schliesslich nicht Mami für nichts! Und im Job muss man auch spontan wichtige Entscheidungen treffen und taktisch agieren können. Und darin bin ich richtig gut.
Natürlich ist Murphy‘s law auch besonders gut darin, uns herauszufordern. Seit einer Woche plagte mich eine Erkältung mit röchelndem Husten, der mich nachts nicht schlafen liess. Dann endlich, der Tag der Tage war da. Ich sass im Vorbereitungszimmer und merkte erstaunt: Ich bin ganz ruhig. Keine Nervosität wie früher an der Uni. Es fühlte sich an wie bei einem Trotzanfall von LadyGaga: Ich liess alles an mir abprallen und war ganz bei mir selbst und nirgends sonst. Das hätte ich früher nicht gekonnt. Ich bin eine Mutter. Auch als ich einige der Fragen nicht verstand, verlor ich nicht die Fassung, sondern wusste, dass ich mir jeweils spontan an der mündlichen Prüfung etwas einfallen lassen würde. Bei meinem Kind muss ich auch immer spontan argumentieren. Nach den Prüfungen am ersten Tag ging ich ohne Pause nachmittags in Büro, um nachzuarbeiten, was am Morgen während meiner Prüfungen liegengeblieben war, und vorzuarbeiten, was am Donnerstag sonst liegenbleiben würde. Abends fiel ich erledigt ins Bett, nachdem LadyGaga nochmals alles gegeben hatte.
Die Prüfungen am Donnerstag waren viel anstrengender, vielleicht auch, weil meine Ressourcen durch den Vortag schon stark angegriffen waren. Das Baby war immer ruhig im Bauch, aber er ist eh ein Vielschläfer. Ich hatte aber Probleme mit meinen Nerven, weil eine der Prüfung nicht verlief, wie erhofft. Als um 17.30 Uhr alles vorbei war und ich das Gebäude verliess, spürte ich keine Erleichterung. Ich wollte einfach nur heulen. Ging aber nicht. Zuhause war LadyGaga wieder total aufgedreht, ich selbst lief auf Sparflamme und fühlte mich eher wie eine Halbtote. Die Wucht des sich nach anderthalb Jahren entladenden Druckes hatte mich klammheimlich übermannt. Dann hatte ich einen Komplettzusammenbruch und schlief weinend in den Armen meines Mannes ein.
Heute Freitag war nun wieder Mami-Tag. Ich hatte LadyGaga schon im Vorfeld versprochen, dass wir heute als Kompensation für die ganze Büffelei viel Spiel-Zeit miteinander verbringen würden. Dies war ein Fehler. Nach einer schlechten Nacht, in der ich die ganze Zeit meine Prüfungen neu durchlebte, fühlte ich mich immer noch mehr tot denn lebendig und hatte nur ein Bedürfnis: die Decke über den Kopf ziehen und schlafen, schlafen, schlafen. LadyGaga beharrte aber natürlich auf meinem Versprechen, so dass es für uns beide ein frustrierender Tag wurde. Ich hätte nur Heulen können vor Erschöpfung. Aber dann erinnerte ich mich daran, wie ich auch vor 10 Jahren bei der Uniprüfung zu implodieren drohte. Und da hatte ich noch kein Kind und war nicht schwanger. Also bin ich heute viel viel stärker, als ich für möglich gehalten hätte, denn ich habe einen anspruchsvollen Job, eine anspruchsvolle Weiterbildung und ein anspruchsvolles Kind zeitgleich gemeistert. Ich habe die Weiterbildung bis zum Schluss durchgezogen, und darauf bin ich stolz!!! Es gibt nichts Besseres, als die eigenen Grenzen zu überschreiten, weil wir daran wachsen.
Wenn ich heute also etwas anders machen würde, dann nur eines: Ich würde am Tag nach der Klausur (also heute) alle Schotten dicht machen und mich zuhause alleine einschliessen, um in meinem Tempo wieder in die normale Welt mit allem Stress und «Mami hier» und «Mami da» zurückkommen zu können. Das hatte ich nicht bedacht bzw. unterschätzt. Daher: Weiterbildung mit Kind? Unbedingt! Aber schickt das oder die Kinder (und den Chef…) während der Prüfungen und am Tag danach in die Ferien. Dann sind am Ende alle zufrieden. Und jetzt: Party!! Ach nein, geht ja nicht 😉