Um 16 Uhr beginne ich diesen Blogeintrag:
Donnerstags hat LadyGaga immer frei, ich habe also zwei Kids zuhause. Der Job muss ruhen, ich mache nur das nötigste, ein wichtiges Telefonat oder ein Mail. Aber heute ist alles anders. Copperfield ist zur Eingewöhnung in der Kita, von 9.45 Uhr bis 16.45 Uhr. Frauentag also! Vielleicht ist das ja ganz gut, wieder einmal nur wir zwei Mädchen. Damit LadyGaga nicht das Gefühl hat, mich nie für sich allein zu haben. Mamizeit eben. Sollen wir baden gehen? Ich freue mich im Vorfeld auf den heutigen Tag. Letzte Woche dann stelle ich in ihrem Zimmer fest: Die IKEA-Kinderküche benutzt sie eigentlich gar nicht mehr. Und sie malt nicht mehr am kleinen Tisch, sondern immer auf dem Boden, der schon Malflecken hat. Eigentlich wäre ein Schreibtisch für sie doch ganz gut…? Ich spreche aus, was ich gedacht habe. LadyGaga ist Feuer und Flamme und lässt sich nicht mehr vom Projekt TISCH abbringen, ohne dass ich zur Bösen Mama werde. Scheisse. Dabei war erst grad Weihnachten.
Wer A sagt…
Wir beschliessen, heute, am Frauentag, in den IKEA in Spreitenbach zu fahren, während Copperfield in der Kita ist. Wir freuen uns beide darauf. Ich erkläre meiner Tochter gestern Abend noch, dass ich aber am Morgen noch arbeiten muss, bevor wir um 9.30 Uhr losfahren, um Copperfield in die Kita zu bringen.
Der Morgen verläuft natürlich ganz anders. Copperfield ist um 6 Uhr wach, ich gebe ihm sein Fläschchen. Ich lege ihn wieder ab, LadyGaga spielt bereits in ihrem Zimmer. Ich gehe nochmals schlafen, weil ich mich wie ein überfahrener Bus fühle. Um halb acht stehe ich wieder auf, Copperfield ruft nach mir. LadyGaga und ich frühstücken, Copperfield knabbert an einer Gurke. Wir gehen in den ersten Stock, ich möchte mich waschen und fertig machen und bitte LadyGaga, dasselbe zu tun. Erstes Gemaule. Ich ignoriere den Ton. Mit einem Blick in ihr Zimmer stelle ich fest: «So hat da aber kein neuer Tisch Platz, räume bitte noch ein bisschen auf.» «Immer muss ich aufräumen. So geht das nicht. Ich. Bin. Genervt!», raunzt sie mich an. Ich bin sprachlos und weiss nicht, wie reagieren. «Nicht in diesem Ton!» rufe ich aus und höre mich wie eine alte Omma an. «Ich mache mich jetzt bereit, und Du bitte auch. Und während ich noch schnell ein paar Mails schreibe, räumst Du Dein Zimmer auf.» «Ich. Bin. Genervt!», brüllt sie mich an. Ich will einfach nur weg. Und mache das auch – ich gehe weg und wasche mich. Als ich eine halbe Stunde später wieder in ihrem Zimmer stehe, trifft mich der Schlag: Sie sitzt immer noch im Pyjama auf dem Boden und spielt. «Warum bist Du nicht angezogen? Wir müssen bald gehen und Du hast noch nichts gemacht!», sage ich vorwurfsvoll. «Diese blöden Socken! Die tun alle weh. Ich kann die nicht anziehen!», raunzt sie mich an. Ich bleibe weiterhin ruhig, aber sie lässt nicht locker, mault und mault und mault. Und wird gehässig. Ich will das nicht, ich will jenes nicht. Das ist blöd und das ist doof. Ich weiss gar nicht mehr, was sie so genau gesagt hat. Und sie wohl auch nicht.
***
Ich will noch ein dringendes Telefonat fürs Büro machen. Stattdessen fragt mich LadyGaga unvermittelt: «Spielst Du etwas mit mir?» Ein Lämpchen brennt gerade in meinem Gehirn durch, ich höre das Schmoren der Sicherung. Versuche, das alles durch ganz viel Ommmmmm zu überbrücken. Frauentag. Frauen-Tag! «LadyGaga, ich habe Dir gestern gesagt, dass wir vor dem IKEA-Besuch am Morgen noch zuhause sind und Du alleine im Zimmer spielen musst, damit ich noch eine Stunde arbeiten kann. Erinnerst Du Dich?» Sie ignoriert mich und mault weiter: «Wie soll ich denn das Zimmer aufräumen, wenn Du mir nicht hilfst. Ich sehe nichts mehr. Ich werde nie fertig. Ich bin wütend!» Wohlgemerkt, sie kann sehr gut aufräumen, das hat sie schon mehrfach bewiesen. Aber eben nur dann, wenn es ihr gerade passt.
Ich erkenne, dass ich hier nicht weiterkomme. Aber IKEA absagen? Dann hocken wir zuhause und gehen uns noch mehr auf die besagte Nerven. Ich wechsle also die Taktik. «Ok, also schau, LadyGaga. Dann räumst Du jetzt einfach nur die ganzen Socken weg, die Du auf dem Boden…» «Nein!!», unterbricht sie mich. «Du bist so gemein. Immer muss ich machen, was Du willst. Und ich…» Ihr Ton ist bissig und rechthaberisch. «Jetzt reicht‘s!», sage ich scharf. Sie fängt an, auf Kommando zu schluchzen. Ich verlasse kommentarlos das Zimmer, weil ich kurz vor dem Kollaps bin. Ich habe mich so auf den heutigen Tag mit meiner Tochter gefreut, aber seit dem Frühstück ist das Kind einfach drauf wie direkt der Hölle entsprungen. Ich sage, sie soll sich erst einmal beruhigen, dann schliesse ich die Tür. Drinnen heult es auf. Einundzwanzig, zweiundzwanzig… Unter Tränen schreit sie: «Mami!» … dreiundzwanzig. Ich gehe wieder ins Zimmer. Sie heult und heult. «Du liebst mich einfach nicht. Du liebst Copperfield mehr als mich. Immer schimpfst Du mit mir!» Es schüttelt sie regelrecht durch. In meinem Herzen zieht sich alles zusammen. Der Vorwurf sitzt. Ich weiss, dass sie eine gewisse Reaktion von mir will, dass sie mich prüft. Und trotzdem tut es weh.
Ich bin ruhig. Ich umarme sie. «Nein, LadyGaga, das stimmt nicht, ich liebe euch beide genau gleich viel. Jeden auf seine Weise. Ich liebe Dich so, wie Du bist, auch wenn Du wütend bist. Aber Du bist so oft patzig und gemein zu mir. Da muss ich doch schimpfen, ich bin Deine Mami, und ich möchte nicht, dass Du so mit mir sprichst. Aber ich liebe Dich über alles.»
Sie zieht sich an, wir gehen mit Copperfield zusammen aus dem Haus. Für den Job konnte ich nichts machen.