Heute Morgen entliess ich eine zufriedene, ausgeglichene Fünfjährige in die Vorschule. Zur Mittagszeit kam nachhause zurück: ein wütender Giftzwerg.
Die Stimmung zu deuten, ist nicht immer ganz so einfach – vor allem bei Kindern!
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Ich war in Eile, da nach dem Mittagessen drei Freundinnen von mir zu Besuch kommen wollten. Mit Baby! Ich freute mich so sehr auf den Nachmittag, war gut gelaunt und mitten am Kochen, als dieses Rumpelstilzchen plötzlich im Flur stand. Und mich direkt angiftete. Sie habe sich zu warm angezogen, sie schwitze und das sei überhaupt alles meine Schuld. Ich sei doof. Ich patzte sie an, dass sie so nicht mit mir reden könne. Sie wurde noch wütender und erzählte, dass David sie in der Vorschule geschubst hatte. Ich sagte, dass das wirklich nicht toll sei, ermahnte sie aber gleichzeitig, sich jetzt fürs Essen bereit zu machen. Sie zog die Schuhe aus und warf sie mit einem Knall einzeln auf den Boden. Sie zog die Jacke aus und schleuderte sie in den Flur. Ich war baff und bat sie streng und leicht angenervt, die Kleider ordentlich zu versorgen. Sie schrie mich an. Sie war wütend wütend wütend auf mich. Und ich war in Eile in Eile in Eile. Und verwirrt. Und ratlos. Die Stimmung kochte hoch, wie bei einer Pfanne voll Wasser und Nudeln, die auf höchster Stufe kochten. Und plötzlich machte es BING in mir. «Was ist los, LadyGaga, ich höre Dir zu.» – «Nein!», schrie sie mich an. «Nie, nie, NIE hörst Du mir zu!» «Doch, das tue ich, LadyGaga, ich bin jetzt für Dich da.»
Ich stellte den Kochherd ab und liess alles stehen. LadyGaga wütete immer noch, die Arme verschränkt, schimpfte mit mir und war böse mit der Welt. Ich setzte mich zu ihr und fragte: «Darf ich Dich umarmen?» Sie hatte Tränen in den Augen und schüttelte den Kopf. Sie sah todunglücklich aus. Ich insistierte nicht und sagte stattdessen: «Ich glaube, Du bist gar nicht auf mich wütend, sondern auf den David. Kann das sein?» Sie schaute mich zweifelnd mit glasigen Augen an. «Das war wirklich ganz gemein, was er da gemacht hat. Da warst Du bestimmt traurig, als er Dich geschubst hat. Ich verstehe, dass Dich das wütend macht, das würde mir sicher auch so gehen. Magst Du es mir erzählen?»
Und dann erzählte sie, dass sie sich gerade vorhin um die Schaukel im Garten der Vorschule gestritten hatten. Dabei hatte der Junge sie weggeschubst, so dass sie hingefallen ist und sich ihre Lieblingshosen schmutzig gemacht hat. Beim Erzählen heulte sie empörte Wuttränen. Und plötzlich kam sie zu mir, umklammerte mich und kuschelte sich an mich. Ich konnte sie festhalten und trösten und liebkosende Worte aussprechen, die ihr gut taten. Wir besprachen, was sie statt der ollen Hose Tolles anziehen könnte, um meine Freundinnen zu beeindrucken. Alles war wieder gut und der Nachmittag mit unseren Gästen ganz zauberhaft.
Eltern sein ist nicht einfach. Wir müssen die Gefühle unserer Kinder erkennen, wenn sie sie selber nicht zum Ausdruck bringen können. Das fängt bereits bei Babys an, hört aber bei sprechenden Kindern keineswegs auf. Wir müssen sie trösten, wenn wir selber vielleicht auch Trost bräuchten oder selber unter Strom stehen. Wir sind Blitzableiter, jeden einzelnen Tag, und zwar für die ganzen Emotionen und Erlebnisse, die sie im Alltag auch ohne uns erleben. Wir sind ihr rettender Anker, wenn alles andere nicht klappt. Und das ist gut so. Das muss so. Ich bin froh, dass ich heute die Signale meiner Tochter richtig verstanden habe. Manchmal sollten wir einfach ein bisschen besser zuhören, die Schreibende nicht ausgeschlossen.
Ach meine Liebe, hier ist es so oft genau so und ich glaube es wird noch intensiver je älter die Motte wird.
Ich erzähle dann in ein paar Jahren und Du denkst bestimmt dann an Lady Gaga und Eure Situationen…..
Ich lese so viel Liebe in Deinen Zeilen und so viel Stärke……
Ich drücke Dich mit ganz viel Herz
JesSi
Was für ein wunderbarer Artikel! Das hast Du toll gemacht!
Immer schön die Ohren offenhalten für dieses BING!
Hugs
Sowas kenne ich auch nur zu gut! Und meistens passiert es natürlich genau dann, wenn man in Eile ist. Du hast doch genau richtig reagiert!
Ich versuche es auch immer wieder, wobei es längst nicht immer gelingt, manchmal ist die Mischung so explosiv, dass es doch eskaliert.
Das Verrückte ist ja, dass es meistens sogar schneller wieder vorbei ist, wenn man sich die vermeintlich nicht vorhandene Zeit nimmt, sich auf das Kind zu konzentrieren. Ein Wutanfall mit anschließendem Streit dauert ja meist viel länger, bis sich die Wogen wieder geglättet haben!
Da hast du wieder einen tollen Artikel verfasst.
Manchmal komme ich mir vor wie auf einer Gratwanderung. Ist es wirklich ein Trotzanfall oder ein Austesten der Grenzen, oder ist etwas vorgefallen oder braucht mein Kind einfach Aufmerksamkeit oder Nähe? Oft komme ich mir bei meinen Kindern wie eine Hobbypsychologin vor und das meistens im größten Stress. Der Kleine bringt fürchterliche Heulkrämpfe, in denen man mit Stahlseilnerven herausfindet das das Schnuffeltuch die falsche Farbe hat, oder beim Großen werden Sachen geschleudert und heraus zu finden das er einfach kuscheln will. Ich glaube Emphatie für seine Kinder ist eine der größten und wichtigsten Elternkenntnis die man erwerben kann.
LG, Anja
Fühle mich als Mutter gerade ungeeignet. Heute Morgen. Ich muss Tochter zur Tagesmutter bringen. Mit Baby. Was für andere selbstverständlich ist, ist für mich eine außergewöhnliche Herausforderung. Ich muss mich durch ein Minenfeld aus Eskalationen tappen, überall können Bomben hochgehen, wenn irgendwas nicht flauschig läuft. Schmerzen. Trotz. Babyschreien. Meine Traumata. Meine Überforderung. Ich muss alles im Vorfeld schon deeskalieren und alles optimieren, damit es überhaupt irgendwie geht. Ich habe es geschafft. Startklar. Baby sitzt im Maxicosi mit Mittelohrentzündung und einschießenden Backenzähnen, die auf die Ohren drücken, und schreit gerade nicht. Das Zeitfenster ist kurz. Ich brauche nur noch mein Handy. Ich verlasse das Haus nicht mehr ohne Handy. Nicht wegen Twitter, haha. Sondern wegen der Verantwortung, die ich habe. Wenn was passiert, muss für meine Kinder gesorgt sein. Findet Ihr übertrieben? Es ist ein Ergebnis meiner Geschichte. Ich finde mein Handy nicht. Ich renne hektisch durch die Wohnung. Es ist nirgends, und es ist lautlos. Meine Tochter folgt mir auf dem Fuße im 5 cm-Abstand, was mich ganz verrückt macht. Das Baby fängt an zu schreien, das Zeitfenster, in dem ich los kann, schließt sich, und das Handy ist immer noch weg. Ich renne rum wie ein aufgescheuchtes Huhn. Gucke ins Bad, nichts, drehe mich abrupt um und will aus dem Bad raus. Renne dabei meine Tochter um. Erschrecke mich fürchterlich, was meinen Stresspegel weiter erhöht. Meine Tochter fängt sofort an zu schreien. Das ist eine Überforderung zuviel, die mein Fass zum Überlaufen bringt. "Ahhhhh!!!! Mama, Arm!", heult sie, und ich schreie sie an: "Mann! Wenn du mir die ganze Zeit auf den Fersen bist, kann ich dich ja nur umrennen!" Irgendwo ganz weit weg weiß ich, dass sie sich noch viel mehr als ich erschrocken haben muss. Und sie ist dabei hingefallen. Geschubst. Von mir, ihrer eigenen Mama. Und hinfallen tut weh. Und ich tröste sie nicht, sondern bin genervt. Irgendwo weit weg bekomme ich das mit. Aber ich bin zu überfordert. Ich nehme sie halbherzig auf den Arm und schimpfe dabei weiter. Handy ist spurlos verschwunden. Gehe ohne Handy. Baby weint. Tochter weint. Will auf den Arm. Aber Maxicosi + 6 kg Baby + 15 kg Tochter schaffe ich nicht. Du kannst an meine Hand. Nein, mit der Hand muss ich nuckääääääääääln, belehrt sie mich. Ich bin nur noch genervt und fühle, wie ich mich immer weiter von meinem Anspruch und von Jesper Juul entferne. Inzwischen bin ich genervt und traurig. Dann kippt es. Traurig und genervt. dann nur noch traurig. Trauer und Scham. Und die Gewissheit: Ich habe versagt.
Liebe Grüße
Mo
Liebe Séverine,
das sind die Momente in denen man sich als Mama auch mal gut fühlt und nicht nur darüber nachdenkt, woran man als nächstes scheitert. Ich schaffe es auch manchmal, die Wutausbrüche umzuwandeln, aber es bedarf tatsächlich ganz feiner Antennen und Einfühlungsvermögen, dass leider je nach Tagesform bei mir auch unterschiedlich ausgeprägt ist.
Aber, wenn ich es dann schaffe und mein Kind mir im Arm liegt und alle Schlechtigkeit der Welt von ihm abfällt, weiß ich wieder einmal mehr, warum Mama-Sein das Schönste der Welt ist (meistens ;-)).
Liebe Grüße
Stephi
Liebe Mo,
danke! Hier finde ich mich wieder. Ich – nur ein Kind und noch nicht wieder im Job, eigentlich viel Zeit für mich, da Kind halbtags in der Kita. Und trotzdem sind sie da, diese Situationen, in denen ich meinen Stress und die empfundene Überforderung an meiner kleinen unschuldigen Tochter ablasse.
Leider bin ich öfter Blitz als Blitzableiter, als mir selbst lieb ist.
Liebe Grüße
Vielen Dank für deinen Text. Ich vertrete deine Meinung auch total, trotzdem haben deine Worte mir gerade sehr geholfen. Unsere Püppi ist 25 Monate alt, spricht schon wirklich gut und lernt gerade, ihre Emotionen zu benennen. Das ist manchmal noch sehr schwierig und dazu kommt, dass wir bald umziehen und ein zweites Kind bekommen. Das merkt sie natürlich alles. Es ist schön zu lesen, dass nicht nur wir manchmal einen Giftzwerg da haben. Von jetzt auf gleich. Ohne Vorwarnung. Hihi.
Lg, Sarah