Die liebe A-Lu ruft in ihrer spannenden Blogparade auf, über #GeschichtenvomScheitern zu berichten. Ich kann mich da wiedererkennen in so einigen Beiträgen, allen voran den von Katja von Ratzefatze Pustekuchen. Man denke nur an unsere perfekte Socke, wobei die zurzeit tatsächlich goldig ist. Bin ich früher daran gescheitert, auch wenn LadyGaga heute plötzlich keine Szene mehr beim Anziehen macht? Ab wann gilt etwas als Scheitern? Wenn es zu spät ist, ohne Chance auf Entwicklung, auf Verbesserung? Wann ist dieser Moment bei Kindern überhaupt gegeben? Ist nicht Erziehung Veränderung? Ich scheitere aktuell daran, dass LadyGaga immer noch ihre Schmutzwäsche in ihrem Zimmer herumliegen lässt. Ich bin aber sicher, dass sie es eines Tages richtig machen wird. Kann ich dann jetzt schon von Scheitern sprechen? Scheitern hat für mich etwas Finales an sich. Scheitern wir nicht erst, wenn die Kinder erwachsen sind und wir irgendwo definitiv versagt zu haben glauben? Ich bin unschlüssig, aber fasziniert vom Begriff.
Mir kommt bei «Geschichten vom Scheitern» spontan vielmehr eine Etappe in meiner beruflichen Karriere in den Sinn. Ich habe schon während meines Studiums in Verlagen gearbeitet. 2002 fand ich eine Anstellung als Leitende Lektorin in einem kleinen Verlag. Ein Traum wurde wahr! Gleichzeitig aber schrieb ich an meiner Masterarbeit und bereitete mich für die Uni-Prüfungen vor.
Der Prozess war schleichend
Ich machte keine Mittagspausen, sondern ass bei der Arbeit schnell ein Sandwich. Ich kam immer früher zur Arbeit und ging immer später nachhause. Man brauchte mich. Nachts schrieb ich an der Masterarbeit. Offiziell war ich zu 50% angestellt, doch es waren sicher 80%. Mein Chef bezahlte plötzlich den Lohn nicht mehr, da er knapp bei Kasse war. Meine Kreditkartenrechnung war nicht mehr gedeckt und die Kreditkarte wurde gesperrt. Der Chef warf mir vor, Spionage zu betreiben. Er meinte auch, ich wolle ihn und seine Familie vergiften, als ich ihm aus dem Urlaub eine Flasche Olivenöl mitbrachte und seine Frau kurze Zeit später Magenprobleme bekam. Ich schuftete wie wild. Das Geld ging mir trotzdem aus, weil mein Chef nicht bezahlte.
Das klingt heute aus der Distanz irgendwie merkwürdig, und ihr werdet fragen: «Warum hast Du nichts gemacht, nicht reagiert? Dich nicht gewehrt?» Ich konnte nicht. Ich war so jung und unerfahren. Ehrgeizig. Es MUSSTE doch gehen, ich MUSSTE doch funktionieren. Alles egal. Irgendwann sass ich abends um acht Uhr im Büro am Computer und habe nur noch geheult. Ich zitterte wie Espenlaub.
Meine Eltern schickten mich am nächsten Tag zur Hausärztin, die ein Burnout diagnostizierte und mich krankschrieb. Ich konnte nur noch weinen und zittern. Mein Gehirn war Matsch geworden. Ich stand meinem Chef im Büro gegenüber, sagte ihm das Unausweichliche: dass ich nicht mehr arbeiten könne, dass ich ein Burnout habe. Er schrie mich an, sprach von Verrat. Ich brüllte zurück, dass die Wände bebten. Und dann sagte er diese Worte, die ich jahrelang mit mir herumtragen sollte: «Du wirst es nie zu etwas bringen, Du bist eine Versagerin!»
Er wollte, dass ich trotz des Arztzeugnisses weiter arbeite, das Zeugnis sei fingiert. Aber ich konnte nicht. Ich setzte nie wieder einen Fuss in dieses Büro. Stattdessen verklagte ich meinen nun ehemaligen Chef, den ich nie mehr gesehen oder gehört habe, auf den mir zustehenden Lohn (insgesamt über 15‘000 Franken) und mein ausstehendes Arbeitszeugnis. Er erschien nicht vor Gericht, meldete Konkurs an und machte die Bude unter neuem Namen wieder auf. Damals habe ich viel über das Schweizer Rechtssystem gelernt. Ich konnte nämlich nur die Firma verklagen, auf die mein Vertrag lautete. Das Ganze verkam zur Farce. Ich bekam zwar Recht, aber es gab keine Firma mehr, die das hätte bezahlen müssen. Dazu kamen noch Gerichtskosten von rund 9‘000 Franken, die ich zu tragen hatte. DAS ist für mich Scheitern. Ich war finanziell, physisch und psychisch am Boden. Jahrelang hallten diese Worte in mir nach: Ich werde es zu nichts bringen.
An meinem Scheitern bin ich gewachsen und erst so stark geworden, wie ich heute bin. Ich habe daraus fürs Leben gelernt:
- Habe immer eine Rechtsschutzversicherung. Diese habe ich gleich nach diesem Vorfall abgeschlossen und seither schon mehrfach davon profitiert.
- Mache immer eine Mittagspause bei der Arbeit. Immer.
- Ein Job ist nur ein Job.
- Höre (rechtzeitig!) auf Deinen Körper und seine Signale.
- Kein anderer Mensch hat mir zu sagen, dass ich gescheitert bin.
Ich will nie wieder dieses zitternde, heulende Häufchen Elend sein, das ich bei meinem Burnout damals war und das nur mittels Antidepressiva und Psychotherapie zurück ins Leben und zum Selbstvertrauen gefunden hat. Ich bin bestimmt nicht perfekt, und in der Kindererziehung schon gar nicht. Aber Scheitern ist für mich keine Option mehr.
Guter Text über eine gruselige Geschichte. Alles Gute, Dir.
Danke für deinen Mut über dieses Thema zu schreiben. Und Respekt, dass du so offen und ehrlich damit umgehst. Ich glaube, wenn man sich deine "goldenen Regeln" zu Herzen nimmt, lässt sich oftmals ein schlimmes Ende verhindern. Ich freue mich jedenfalls, dass du diese schwierige Zeit überwunden hast und nun stärker und selbstbewusster bist.
Ich hatte eine Gänsehaut beim Lesen! Man sollte sich wirklich von niemand anderem sagen lassen, dass man mit irgend etwas gescheitert ist. Das beurteilen darf einzig und allein derjenige, den die Sache betrifft. Bloß gut, dass du damals die Notbremse gezogen hast! Das war die absolut richtige Entscheidung. Man muss im Leben immer einmal mehr aufstehen, als man hingefallen ist…
Toll geschrieben! Der beste Satz für mich: "Aber Scheitern ist für mich keine Option mehr".