Stopp, das können wir besser! Familienmomente reloaded

«Sag mal spinnst Du?!», brülle ich meinen Mann an. Er hat gerade eine Vollbremsung gemacht, weil wir sonst in das Auto vor uns reingefahren wären. Wir sind im Urlaub am Mittelmeer. Ich koche und schäume vor Wut. LadyGaga jammert von hinten, weil sie sich so erschreckt hat. Mein Mann faucht mich an: «Dann fahr doch selber, wenn Du es besser kannst!» Copperfield bleibt Gentleman und schweigt.

Schweigend fahren wir weiter Richtung Strandpromenade, jeder der Erwachsenen in Gedanken sein Süppchen kochend. LadyGaga schwafelt von Spielplatz, Strand, Hüpfburg, Pony reiten, Füsse ins Meer halten… die Wünsche nehmen kein Ende.

Die Parkplatzsuche verkommt zum Dilemma – im Dorf ist Amerikafest, überall tummeln sich Harleys, Oldtimer, Pferde, Menschen mit Cowboy-Hüten. Aus Lautsprechern dröhnt Country-Musik. Mit unserem grossen SUV ächzen wir uns durch die Auto-Reihen. Die Nerven liegen blank. Da sehe ich, wie ein älteres Ehepaar sich in sein geparktes Auto zwängt und wegfährt. Hektisch heisse ich meinem Mann, den Platz in Beschlag zu nehmen. Da. Im Schatten geparkt. Yeah!

Wir hieven Kinderwagen, Wickeltasche, Jacken, Getränke, Schals, Spielsachen, ach und die Kinder auch noch aus dem Auto. LadyGaga will bitte sofort auf die Hüpfburg. Ich schimpfe. «Wir gehen jetzt zuerst mal essen, es hat so viele Touristen hier, wir können froh sein, wenn wir einen Tisch kriegen.» LadyGaga mault: «Aber ich habe gar keinen Hunger!» Ich stöhne inwendig und beschliesse, sie zu ignorieren. (Kennt ihr das auch: «Wenn ich es ignoriere, passiert es vielleicht gar nicht»…?)

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Es ist 12 Uhr. Unser Lieblingsrestaurant hat noch Plätze frei, und Babyhochsitze haben sie auch. LadyGaga nimmt sofort den Platz neben mir in Beschlag. Mein Mann kümmert sich darum, Copperfield in den bereitgestellten Hochsitz zu manövrieren. Copperfield hat einen Sonnenhut auf. Er schreit. Wie. Am. Spiess. Bis wir ihm den Sonnenhut wieder abziehen. Ich setze meine Sonnenbrille auf. LadyGaga sagt, dass sie (wie immer undefinierbare) Bauchschmerzen hat. Ausgerechnet jetzt. Ich weiss nicht, ob es ihr ernst ist. Mit Ach und Krach bestellen wir unser Essen, zwischen zwei wuselnden Kindern. LadyGaga ist immer noch unruhig. Ich ändere die Taktik und erlaube ihr spontan, gegenüber auf der Wiese neben den Palmen zu spielen, so dass wir sie sehen können. Sie hüpft davon. Copperfield wirft unterdessen mit Schnuller, Hut, Gabel, was er gerade findet um sich. Mein Mann und ich bücken uns abwechselnd, um unser Hab und Gut wieder vom Boden aufzulesen. Hauptsache, Copperfield schreit das Restaurant nicht zusammen. LadyGagas Essen kommt. Ich knabbere gedankenverloren Pommes Frites von ihrem Teller. Wir Erwachsenen schweigen uns weiter an. LadyGaga kehrt zu uns an den Tisch zurück, isst Fritten und Chicken Nuggets. Copperfield schlabbert an einer Fritte, dann schmeisst er abwechselnd Fritten auf den Boden: links, rechts, links… wisch, wusch, wisch über den Tisch. Ich setze Copperfield wieder den Sonnenhut auf, denn wir sitzen draussen im Halbschatten. Mein Sohn schreit wieder, in einer grellen Tonlage, die mir sofort Kopfschmerzen verursacht. Man schaut uns an. Stur ist er ja, dieser Copperfield. Mein Magret de Canard (Entenbrust) und der Rinderspiess (ne, das war definitiv kein Spiesschen) von meinem Mann werden serviert. Wir essen hastig, als würde eine Uhr ticken und die Bombe «Kleinkind im Restaurant» demnächst hochgehen.

«Du kannst das auch nicht geniessen, oder?», frage ich meinen Mann mit zusammengebissenen Zähnen. Er schüttelt stumm den Kopf. Ich schneide in meine ehrlich gesagt köstliche Entenbrust, spiesse Mango-Chutney dazu auf die Gabel auf und schiebe alles in den Mund. Nein, das geht so nicht. Das Essen ist einfach zu lecker, um nur heruntergeschlungen zu werden. Copperfield spielt zufrieden mit seinen Pommes. «Weisst Du was? Wir machen das alles ganz falsch. Auch wenn uns unsere Kinder gerade stressen, wir sollten das alles mehr geniessen. Lass uns doch mal festhalten, was alles gerade toll ist hier.»

Mein Mann nickt und fängt direkt an: «Die Sonne scheint!»

«Wir haben einen tollen Parkplatz gefunden!», ergänze ich.

«Das Essen ist toll!»

«Deines auch?», frage ich interessiert nach. Er nickt zufrieden. Wir diskutieren über das Essen. Dann:

«Der Himmel ist strahlendblau!»

«Überhaupt sind wir in den Ferien!»

«Wir sehen das Meer von hier. Es ist türkisblau.»

«Wir sind hier an einem Dorffest, es ist viel los und die Kinder werden nachher sicher viel Spass haben!»

«Wir könnten noch an den Strand gehen und mit den Kindern eine Sandburg bauen! Copperfield wird begeistert sein.»

«LadyGaga kann Pony reiten. Du, das Magret ist wirklich lecker! Ist Dir eigentlich aufgefallen, wie gut sich LadyGaga mittlerweile alleine beschäftigen kann? Sie hört auf uns, schau, sie spielt zufrieden unter den Palmen.»

«Wir haben keinen Autounfall gehabt!»

Wir grinsen beide. Zufrieden mit dieser Konversation, die das vorherige Schweigen und alleinige Fokussieren auf die Kinder und unseren Stress mit ihnen durchbricht, essen wir unser superduperleckeres Mittagessen und können darüber hinwegsehen, dass wir mit Copperfield eben doch auf einer tickenden (da müden) Zeitbombe sitzen. Alles easy, alles machbar. Wir sind zu viert! Sonne! Meer! Gute Laune! Nach dem Essen darf LadyGaga Pony reiten gehen und Copperfield spielt voller Elan mit der ganzen Familie im Sand, bevor er müde und zufrieden im Kinderwagen einschläft. Alle sind happy. Und ich irgendwie plötzlich tiefenentspannt.

Wir sollten wirklich öfter auch im Alltag innehalten, den Stress und die angespannte Konzentration, die uns unsere Kinder gerade auch in der Öffentlichkeit gerne auferlegen bzw. abverlangen, beiseiteschieben und uns auf das Wesentliche konzentrieren: den (Familien-)Moment und seine Chancen. Oftmals erkennt man ja leider gar nicht, was für einen schönen Tag man eigentlich zusammen geniessen könnte. Mir geht es zumindest oft so. Da hilft es, kurz innezuhalten und sich zu sagen: Stopp, das können wir besser!

Zuhause habe ich übrigens eine grosse Dose, in der ich auf Zetteln laufend schöne Familien-Momente (inkl. vermerktem Datum) festhalte. Das können kleine Sachen sein (LadyGaga sagte heute: «Copperfield ist der beste Bruder auf der ganzen Welt!») oder grosse Ereignisse (Geburt, Reisen, Familientreffen, erste Schritte etc.). Irgendwann werde ich meinen Kindern diese Dose zur Erinnerung schenken. In der Zwischenzeit liebe ich es, in diesen Zetteln und der Erinnerung zu schwelgen. Und dieser schöne Moment am Meer ist definitiv einen neuen Zettel wert.

 

8 thoughts on “Stopp, das können wir besser! Familienmomente reloaded

  1. Eine gute Idee, in diesem Moment das Positive zu sammeln! Das mit den Zetteln habe ich auch schon einmal versucht, aber das ging schief. Wir haben mittlerweile einen Familienordner. Das klappt besser – warum auch immer 😉 Liebe Grüße, Viola

  2. Hallo, wir haben auch so eine Glücksmomente-Sammeldose wie Tafjora. Ich muss mich nur darauf konzentrieren, auch immer etwas aufzuschreiben, wenn etwas schönes passiert ist. Dein Post ist sooo war. Und übrigens: geniesst Euren Urlaub noch! Ich vermute, Ihr seid in Südfrankreich auf der Mittelmeerseite, stimmts? LG Katinka

  3. Das ist ja eine super Idee mit den Glücksmomenten! Liest du sie dann speziell in "Grummelzeiten"?

    Wäre sicher eine schöne Sache. Ich glaube, das führe ich auch ein 🙂 Solche kleinen Psychotrickchen helfen bei mir gut 😉

    Einen schönen Urlaub noch!

    Liebe Grüße aus London,
    Uta

  4. Die Idee mit der Glücksmomente-Dose finde ich super. Das kupfere ich bestimmt bald ab. ;)) Dir noch einen schönen, entspannten Urlaub!

  5. Hallo Uta
    genau, ich lese die durch, wenn es grad nicht so rund läuft 😉 Oft fische ich aber auch einen Zettel raus, wenn ich einen neuen reinlege, und lese dann den alten nochmals – immer ein gutes Gefühl! 😉

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