«Hast Du wirklich Flugangst?», wurde ich jüngst in Hamburg beim scoyo-Treffen gefragt. Ja, die habe ich wirklich.
Ich bin als Kind viel und über den Atlantik geflogen, da wir ja in Zentralamerika wohnten. Fliegen war toll, denn es bedeutete Urlaub, Abenteuer – und auch Heimat, denn wir besuchten regelmässig die Familie in der Schweiz. Als Teenager in der Schweiz kamen dann Urlaubsreisen nach Griechenland, Mallorca etc. dazu. Ich flog Anfang 20 regelmässig nach Paris, ganz alleine. Sogar hin und zurück am gleichen Tag, einfach weil ich es konnte. So fühlte sich Freiheit an, ich hatte keine Angst. Die Welt gehörte mir.
Was ist passiert?
Ich wurde erwachsen und lernte, dass die Welt eben nicht mir gehört. Dass es Dinge gibt, die ich nicht beeinflussen kann. Dass man sich Sorgen macht, Ängste hat. Irgendwann dachte ich: Wer garantiert mir denn eigentlich, dass dieses Flugzeug mit mir drin nicht abstürzt? Ich könnte genauso gut tot sein, Menschen sterben nun mal. Auch ich. Wir sind vergänglich.
Ich selbst habe ironischerweise noch nie wirkliche Probleme oder Zwischenfälle beim Fliegen erlebt. Kein Druckabfall, kein ausgefallenes Triebwerk. Nichts. Nada. Ich beschwere mich nicht. Ich stelle fest. Es gibt keinen konkreten Auslöser für meine Angst.
Aber ich habe wohl jeden Flugzeug-Katastrophen-Film gesehen, den es gibt. Diese Filme faszinieren mich. Wie doof kann man eigentlich sein?!
Statistisch gesehen ist Fliegen ungefährlicher als Auto fahren, sagt man. Aber beim Autofahren fällt man nicht so tief, pflege ich darauf zu antworten. Statistik schön und gut, aber irgendwer sitzt ja in diesen Flugzeugen, die vom Himmel fallen. Haben die betroffenen Passagiere sich am Vorabend auch gesagt: «Statistisch gesehen ist Auto fahren gefährlicher»? Eben. Beim Flugzeug kommt im Gegensatz zum Auto ausserdem eine wichtige Komponente dazu: Wir sind dem Fortbewegungsmittel und den Piloten komplett ausgeliefert, was sich ja gerade beim Germanwings-Unglück schmerzlich bestätigt hat. Es geht also bei meiner Flugangst sicher auch um Kontrollverlust. Ich mag das nicht, denn ich bin es gewohnt, mein Leben selber in die Hand zu nehmen. Und dennoch fliege ich. Warum?
Wie sieht das konkret aus?
Das war jetzt alles viel Blabla, aber wie sieht das konkret aus bei mir? Hier bespielhaft die Details zu meinem jüngsten Flug nach Hamburg.
Ich wurde von scoyo nach Hamburg eingeladen. Ich war noch nie im Hamburg. Ich verreise gerne (Urlaubsstimmung!). Ich habe ein bisschen Zeit für mich abseits der Familie.
ABENTEUERERLEBNIS. Flugangst!!! ABENTEUER! Irgendwann der Entschluss: Ich tu’s. Nach dem Buchen des Flugs Euphorie. Eine Woche vor dem Reisetermin werde ich unruhig (wie beim Zahnarztbesuch!) und fange an zu packen. Ach hätte ich doch nicht zugesagt, jetzt muss ich bald fliegen. Am Tag vor dem Flug hat sich mein Zustand auf «sehr unruhig» gesteigert. Ich frage mich: Soll ich wirklich fliegen? Was sagt mein Gefühl? Ich frage meinen Mann: «Soll ich fliegen?» Er nickt. Er weiss ganz genau, dass ich sowieso fliegen werde. Mir ist schlecht. Am Tag des Abflugs packe ich meine sieben Sachen fertig (etwa zum dritten Mal). LadyGaga weint komplett hysterisch und sagt Dinge wie: «Ich habe das Gefühl, wir werden uns nie wieder sehen!» Sie spiegelt mich, obwohl ich meine Angst eigentlich vor ihr verberge. Ich könnte kotzen und sehe vermutlich aus wie ein Gespenst. Wieso sagt sie bloss solche Sachen? Weiss sie etwas, das ich nicht weiss? Ich versuche, mir nichts anmerken zu lassen und tröste meine Tochter, dass alles gut ist. Aber sie spürt mich. Oder weiss sie doch mehr??? Bei der Verabschiedung ist sie von den Grosseltern komplett abgelenkt. Sie gibt mir ein Küsschen und spielt problemlos weiter. War’s das jetzt? Copperfield ist wie immer.
Auf dem Weg zum Flugfahren bin ich nicht unruhig, sondern sehr nervös. Ich habe einen Klumpen im Magen. Also stopfe ich Schokoladebrötchen in mich rein, Süssigkeiten, Cola. Ich betäube mich. Später wird mir davon schlecht werden. Ich schwelge in bösen Omen. Was, wenn ich nicht zurückkomme? Am Flughafen gehe ich als erstes aufs Klo. Und plötzlich bin ich im geschäftigen Reisemodus angekommen. Schizophren! Ich bummle durch die Gänge und finde mich plötzlich vor der Sicherheitskontrolle wieder (eingecheckt habe ich am Vorabend per Smartphone). Euphorie! Puls! Ich bin ganz cool, will nicht aus den falschen Gründen ausgerechnet jetzt auffallen. Ich gehe problemlos durch die Kontrolle, packe meine Sachen vom Förderband wieder zusammen. Endorphine!!! Yeah! Ich fliege tatsächlich! Fuck. Aber ich habe mich überwunden, nimm das, Du blöde Flugangst. Souverän verbummle ich die restliche Zeit, gehe ins Flugzeug, packe alle möglichen Ablenkungsmanöver aus der Handtasche aus (1000 Zeitschriften) und twittere, um mich abzulenken, bis es nicht mehr erlaubt ist. Dann klammere ich mich an meinem letzten Rettungsanker fest – der «InTouch», wo ich mich konzentriert fünfhundertdreiundsechzig Mal durch die erste Doppelseite lese. Da ich am Fenster sitze(n muss!!!), linse ich immer wieder raus. Das sah auf dem Weg nach Hamburg so aus:
Gnaaa!!! Wenn der Flügel explodiert, habe ich ihn also direkt vor der Nase.
Wir rollen mittlerweile auf dem Rollfeld, die letzte Kurve kommt. Mein Puls rast. Ich kann nicht mehr lesen oder so tun als ob. Ich klammere mich an der Zeitschrift fest. Meine Hände sind so verschwitzt! Dabei schwitze ich sonst nie nie nie. Das Flugzeug beschleunigt und fährt wie von der Tarantel gestochen los. Ich schaue aus dem Fenster, atme, atme, atme. Es rollt. Und rollt. Warum hebt dieser verdammte Vogel nicht endlich ab? Wir werden noch ins Feld fahren!!!! Atmen, Atmen. «Vater unser, der Du bist im Himmel…» Ja, ich bete. Mein Mantra beim Fliegen. «Wie im Himmel so auf Erden…» Diese Stelle erdet mich ein wenig. Aber ich habe Todesangst. Das Flugzeug erhebt sich endlich, und ich weiss: Jetzt ist der gefährlichste Moment. Atme, atme. Wie war das noch bei der Concorde damals in Paris? Atmen. Wir fliegen. Das Flugzeug zieht eine erste Kurve, ich habe Angst, dass wir auf dem Bauch landen, was natürlich total bescheuert ist. Die Air-France-Maschine, die 2009 von Rio de Janeiro nach Paris über dem Atlantik abstürzte. Wir waren nur vier Monate zuvor mit Air France von Buenos Aires nach Paris geflogen. Warum nicht wir? Ich will nicht sterben. Nicht jetzt. Das Anschnall-Symbol leuchtet nicht mehr. Ich falte die verschwitzte Zeitschrift wieder auseinander und lese weiter. Atmen.
Während des Flugs bin ich relativ OK. Bis der Landeanflug beginnt und meine Angst wieder omnipräsent ist und jedes klare Denken im Keim erstickt.
Und mit Kindern?
LadyGaga ist bisher dreimal geflogen: einmal im Frühling 2012 mit mir alleine von Basel nach Barcelona (mein Mann hat uns später mit dem Auto bei meinen Eltern in Südfrankreich getroffen) und im März 2013 mit uns Eltern von Zürich nach Miami und zurück. Den Barcelona-Flug fand sie cool. Ich sass schwitzend neben ihr und versuchte, mir nichts von meiner Panik anmerken zu lassen. Die Angst war aber durch die Beschäftigung mit der zweijährigen LadyGaga regelrecht betäubt. Der Flug nach Miami war dann das Schlimmste, was ich flugtechnisch je erlebt habe. Der Flieger war riesig, meine Angst als Mutter omnipotent. («Dieses Ding kann unmöglich fliegen!!!») Während des Starts weinte ich. Der Flug ist übrigens hier verbloggt (mit Hammerbildern!). LadyGaga sass neben mir, quasselte und quasselte und verstand mich nicht (ich mich auch nicht). Ich war komplett hysterisch. Und das Kind den ganzen Flug durch unruhig, quengelig, müde, nölig.
Weil es mich spiegelte. Was das Ganze wiederum nicht besser machte. Im Nachhinein betrachtet, hätte ich wohl vorher ein Beruhigungsmittel nehmen sollen.
Und nun: Nächsten Donnerstag fliegen wir zu viert nach Berlin. Yepp. ZU VIERT!!!!! Wir treffen am Donnerstagnachmittag Vivi von hexhex mit ihren Töchtern Grosses F und Kleines F. Denn das Grosse F ist genau in LadyGagas Alter. Es wird Zeit, dass sich die zwei kennenlernen, wenn schon die Mamas sich so gut verstehen! Und am Freitag findet wieder der #blomm-Event statt, an dem ich dabei sein werde, da ich da wieder ganz viele tolle bloggende Eltern treffe und kennenlerne. Wegen der Flugangst darauf verzichten? Kann ich nicht. Will ich nicht. Aber bereits ist es wieder eine Woche vor dem Fliegen und ich werde unruhig, stelle mir Fragen: Wer nimmt Copperfield beim Flug auf den Schoss, ich oder mein Mann? LadyGaga will sicher am Fenster sitzen – wo sitze also ich? Wird Copperfield auf seinem ersten Flug brüllen? Was muss ich mitnehmen damit LadyGaga und Copperfield beschäftigt sind? Darf ich eigentlich meinen Mann auf dem Flug anbrüllen, wenn ich hysterisch werde? Darf ich den Kindern meine Angst zeigen? Wird das Ganze ein Desaster? Copperfield ist doch echt noch klein. Darf ich mich innerlich zurückziehen und meinem Mann die Meute überlassen? Der hat nämlich keine Flugangst. Ist es eigentlich besser, wenn wir zu viert im Flugzeug sind und etwas passiert? Und Himmelarschundzwirn: Hört dieser Scheiss endlich mal auf in meinem Kopf?!?!?!
Jetzt seid ihr gefragt: Habt ihr mir konkrete Flugtipps für diesen Donnerstag? Und: Falls hier Anbieter von Flugangstseminaren etc. mitlesen: Ich stelle mich sehr sehr sehr gerne für einen Kurs oder ähnliches zur Verfügung, um danach darüber zu bloggen. Ich glaube langsam, ich habe es nötig.
1. Ja, du darfst deinen Mann anbrüllen.
2. Copperfield sitzt auf deinem Schoß und du sitzt am Fenster.
3. Du kannst dich an Copperfield besser festhalten als an der INtouch.
4. LadyGaga wird auch halb auf deinem Schoß sitzen, weil sie rausgucken möchte. Oder eben du auf ihrem, je nachdem.
5. Für L.G. Malbuch oder iPad, falls ihr habt.
6. Für Copperfield etwas zu trinken für Start und Landung wegen des Druckausgleiches.
7. Für den Rückflug überlässt du die ganze Meute deinem Mann und liest tiefenentspannt das MAGAZIN, das ich dir mitgebe 🙂
8. Und jetzt: freuen auf Berlin! <3
5.
Das sind alles sehr gute Tipps! Nur will LadyGaga natürlich am Fenster sitzen, was ich total nachempfinden kann. Also kann ich höchstens auf ihren Schoss klettern. Mähh!! Es bleibt spannend. Juhu, Berlin wir kommen!!!