LadyGaga kommt nicht nachhause

Um 12.10 Uhr klingelt das Telefon. Es ist die Mutter von LadyGagas bester Freundin Annika. Arglos nehme ich den Hörer ab. «Du, äh, wundere Dich nicht, aber LadyGaga ist bei uns zuhause.»
«????»
«Ja, so wie es aussieht, ist sie einfach mit Annika mitgelaufen, weil sie entschieden hat, bei uns zu Mittag zu essen.» Meine Freundin lacht. «Ich dachte, ich rufe Dich gleich an, damit Du Dir keine Sorgen machst. Ich habe genug zu essen zuhause, sie kann also schon bei uns bleiben. Ist das für Dich okay? Oder soll sie nachhause kommen?»
«????»

Ich bin komplett sprachlos. Ich habe gekocht, alles ist vorbereitet, Copperfield isst bereits Kartoffelbrei, es fehlt nur noch mein grosses Kind. Das nun bei der Freundin zuhause ist. Einfach so. Weil sie es so will. Was soll ich also tun? Cool bleiben?

© Fotolia Wie die Motte dem Licht zu – ohne weiter nachzudenken, verhalten sich unsere Kinder oft, als wären sie die Könige der Welt.
Es gibt zwei Möglichkeiten:
  1. LadyGaga darf dort bleiben, schliesslich haben sie genug zu essen im Haus. Es ist ihre beste Freundin, ich kenne die Mutter gut.
  2. LadyGaga wird von mir sofort nachhause beordert.

Wie würdet ihr entscheiden?

Nach anfänglicher Ratlosigkeit entscheide ich mich dafür, mit LadyGaga am Telefon zu sprechen. Die Freundin reicht ihr den Hörer. «LadyGaga, ich komme Dich jetzt mit dem Auto abholen. Du kannst nicht einfach entscheiden, wo Du zu Mittag essen willst. Das geht so nicht. Ich bin in fünf Minuten bei euch, bitte steh auf dem Gehweg bereit.»
LadyGaga piepst kleinlaut: «Ja, Mami.»
Damit habe ich nicht gerechnet. Kein Geheul?
Als ich sie abhole, steht die befreundete Mutter bei ihr. Ich erkläre LadyGaga, dass wir Mütter uns zuerst absprechen müssen, ob und wann die Kinder zusammen essen dürfen. Meine Freundin pflichtet mir bei. LadyGaga nickt gesenkten Hauptes.
Im Auto erkläre ich ihr nochmals, immer freundlich, dass das nicht OK gewesen ist von ihr. Dass ich mich darauf verlassen können muss, dass sie nach der Vorschule direkt nachhause kommt. Dass sie doch weiss, dass ich mir sonst Sorgen mache. Dass sie nicht einfach mit anderen Menschen mitgehen darf, nur weil sie gerade Lust und Laune hat. Auch wenn sie die Menschen kennt. Sonst könne sie ja auch mit einem fremden Mann ein Eis essen gehen. Und sie weiss doch, dass das gefährlich ist.
LadyGaga rutscht auf ihrem Sitz unglücklich hin und her. Dann fängt sie an zu schluchzen.
Sie weint auch noch (immer wieder) am Esszimmertisch. Ihr schlechtes Gewissen quält sie, ich sage nichts mehr, tröste nur. Es tut ihr leid, sie weiss, dass ihr Verhalten unüberlegt und falsch und auch gefährlich war.
Meine LadyGaga hat einfach einen crazy Kopf. Schon zum zweiten Mal ist sie nun auf eigene Faust nach der Vorschule nicht nachhause gekommen. Erinnert ihr euch an das erste Mal, als sich zeitgleich zu ihrem Verschwinden ein Pädophiler im Dorf herumtrieb? Jedes Mal, wenn LadyGaga nun etwas länger braucht, bis sie zuhause ist, krampft sich mein Herz zusammen. Dann schelte ich mich und denke: «Sie ist schon gross, traue ihr ruhig etwas zu. Sie stellt nichts Dummes an.» Tja, und dann passiert so etwas wie heute.
Erziehung ist eine stete Gratwanderung mit viel Lerneffekt auf beiden Seiten. Es ist nicht immer einfach, die Linie einzuhalten, aber gerade bei solchen Dingen sollte man als Eltern meiner Meinung nach konsequent sein und diese Linie auf den Millimeter genau durchziehen, auch wenn es schwerfällt. Ich hätte LadyGaga bei der Freundin lassen können. Aber wäre dann die Hemmschwelle für einen weiteren solchen Vorfall in Zukunft nicht kleiner geworden? Und dennoch: Es ist ja schon zum zweiten Mal passiert, und auch beim ersten Mal war ich sehr konsequent.
Nun frage ich mich: Ist nur meine Tochter so… so mutig? So unbedacht? So sorglos? Oder ist euch das mit euren Kindern auch schon passiert? Wie habt ihr reagiert?

 

22 thoughts on “LadyGaga kommt nicht nachhause

  1. Ich kann Deine Reaktion nicht ganz nachvollziehen. Sie ist bei ihrer besten Freundin, Du kennst die Mutter gut, diese ruft Dich sofort an – eigentlich alles okay. Auch wenn das von Dir postulierte Prinzip, dass man sich dazu vorher absprechen muss, richtig ist, halte ich Deine Reaktion, das Kind nicht mal fertig essen zu lassen, für zu hart.
    Wir hatten hier erst neulich den Fall: K2 kam nach der Schule (erste Klasse) nicht nach Hause, stattdessen rief die Mutter einer Freundin an, ob es okay sei, wenn sie K2 mitnähme, die Kinder hätten sich spontan (!) verabredet. Natürlich war das okay.
    Spontane Verabredungen mit bekannten Kindern (Eltern) sollten möglich sein, wichtig ist immer, dass es diesen Anruf gibt, wie ihn Deine Freundin auch getätigt hat. Ich plädiere für ein wenig Milde und Nachsicht.

  2. Oh Liebes, sie werden grösser und ziehen an der Leine bis sie länger wird. Mir wärs auch lieber, meiner würde sich dort selbstverwirklichen, wo es ungefährlich ist. Bei meinem Fünfjährigen ist es die Kantonshauptstrasse, über die der Kurze immer wieder rüber "muss", obwohl er nicht darf. Einfach um zu beweisen, dass er es kann. Auf Schimpfen und ins Gewissen reden kommt immer nur "aber Maman, vertrau mir, ich habe gut zugehört als uns der Polizist in der Vorschule das gezeigt hat".

  3. Hallo für Dich, ich bin ein stiller Leser Deines Blogs schon länger und das Lesen macht mir viel viel Freude. Als Mutter eines erwachsenen Sohnes kann ich Dir sagen, Du machst es richtig so! Sei weiter so konsequent. Das brauchen die Kinder, weil es ihnen auch Sicherheit gibt, grad in diesen Zeiten.
    Viele Grüße aus Magdeburg

  4. Liebe Mrs Cgn
    ich bin in der Regel eher zu milde – in diesem Punkt aber bin und bleibe ich hart. LadyGaga ist fünf Jahre alt, da finde ich es nicht ok, dass sie eigenmächtig entscheidet, wohin sie geht. Die befreundete Mutter holt ihre Tochter regelmässig von der Vorschule ab (heute nicht). Wenn sie also direkt vor dem Gebäude der Vorschule die andere Mutter ragen würde, ob sie mitkommen darf und diese mich dann anruft: OK. Da interveniere ich sicher nicht. LadyGaga ist aber einfach so mit der Freundin mitgegangen. Warum muss ich das einer Fünfjährigen durchgehen lassen? Ist hier Milde wirklich die richtige Reaktion? Kann sie schon unterscheiden zwischen "zu Annika darf ich spontan gehen, zu XY aber nicht"? Ich finde nicht.
    Ich habe sie nicht bestraft. Sie war bei der anderen Familie noch nicht am Essen. Aber ich war konsequent, und dazu stehe ich. Damit sie lernen kann, Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen. Wenn ich dadurch als Glucke wirke, nehme ich das gerne in Kauf. Wie es dann aussieht, wenn sie 7 oder 8 ist, ist dann wieder eine andere Geschichte.
    LG
    MamaOTR

  5. Ja, diese Herzstillstand Momente…Bei uns ist es der Mittlere der gerne aus der Reihe tanzt und selbst entscheidet, was er tun möchte. Er möchte vom Klettergerüst von ganz oben runter springen, dann macht er das…OFt genug hat er mir einen ordentlichen Schreck eingejagt. Bin gespannt wie es wird, wenn er bald in die Schule kommt, ich hoffe sehr, je älter er wird um so besser kann er sich einschätzen und weiß, was er zu tun und zu lassen hat.
    Und leider hat es bei uns auch nichts mit Konsequenz zu tun, er macht es trotzdem, vielleicht um ein wenig seinen STandpunkt als mittleres Kind auszubauen… Ich bin oft ratlos.

    Ich finde deine Reaktion richtig und ich denke, LadyGaga wird es bald besser wissen, was sie machen kann und was nicht 🙂

    Liebe Grüße
    Stephi

  6. Mit 5. Jahren, ich weiß nicht, kann man das da schon selber entscheiden? Ich bin da ehrlich gesagt überfragt. Aber persönlich denke ich auch, dass es einfach zu früh ist das ein Kind mit 5 Jahren selber entscheiden darf wo es nach der Vorschule hingeht ohne vorher zu fragen. (Außnahme wäre wie es schon hier geschrieben wurde, wenn die Eltern direkt von der Vorschule anrufen würde.)
    Wie ich bei sowas aber reagieren würde,keine ahnung, vermutlich so ähnlich wie du.

    Lg Nicky

  7. Meine Tochter ist ebenfalls fünf, sie darf noch nicht alleine nach Hause gehen, weil hier einfach zu viel Verkehr ist, mitten in der Stadt und sie genau 8 Mal Ausfahrten, Seitenstraßen etc. beachten müßte, um nicht überfahren zu werden. Das ist mir zu unsicher. Aber zu Deiner Frage, was hätte ich gemacht, wenn…? Vermutlich hätte ich es genauso gemacht, wie Du. Es ist wie eine kleine Bestrafung, dass sie dort nicht essen und spielen durfte, an dem Tag. Aber auch ich hätte damit erreichen wollen, dass es sich in ihrem Kopf fest setzt, erst mit den Eltern absprechen, dann zur Freundin gehen.
    Grundsätzlich finde ich aber auch die Entscheidung das Kind dort zu lassen und nur zu telefonieren und ggf. später am Abend mit dem Kind nochmal darüber zu sprechen, legitim. Das ist so eine Gefühlssache und vom Naturell der Mutter und des Kindes abhängig, da gibt es eine keine Faustformel. (wie so oft.)

  8. Meine Mädchen sind inzwischen 13 und 15 – und dennoch gilt: gehen sie woanders hin mit oder treffen sie sich in der Stadt noch mit Freundinnen, ist das vorher abzusprechen …. oder bei spontanen Entscheidungen haben Sie mich wenigstens telefonisch in Kenntnis zu setzen ….
    Ich hatte schon den Fall (da war die Kleine 8), das wir kurzfristig wohin mussten und ich wollte die beiden auf dem Schulweg einsammeln und dorthin fahren ….. sie waren den ganzen Weg nicht zu finden – hatten sich mal eben überlegt, nen anderen Weg zu nehmen und mit Freundinnen noch ein Eis zu essen. Ein kurzer Anruf (Mama, wir kommen 10 min später) hätte die ganze Aufregung und den Ärger vermeiden können.
    Ja Vertrauen ist wichtig und gut – aber dazu gehört auch das Einhalten von Absprachen.
    Bleib in der Beziehung konsequent – es ist wichtig! Und mit 5 Jahren denke ich nicht, das Kinder schon selbst entscheiden sollten/können, ob sie mal eben zu dem oder dem mitgehen können …

    Es könnte tatsächlich auch jemand sein, von dem das Kind denkt "den kenn ich ja", der es aber nicht gut mit ihm meint…..

  9. Hach, "witzig" die große (fast 5) hat hier nach dem Kindergarten dasselbe gebracht.
    Ich habe gewartet, hier war aber nicht fertig gekocht und plötzlich ruft die Mutter vom besten Freund an, die große ist da und möchte mitessen.
    Was sagt man da? Ich habe sie mal mitessen lassen, weil die minimaus schlief und ich die große nicht holen wollte/konnte. Trotzdem natürlich am Abend ermahnt und verwarnt, hat auch die Mutter vom besten Freund getan.
    Natürlich will man die Leine lockerer lassen und den Kindern Freiheiten geben, aber WIE locker ist okay? Einfach selbst abhauen und sich verabreden und Mama kontaktieren wenn man da ist, ist nicht für mich. Ich will gefragt werden, ich will vorher wissen wo mein Kind ist. Ich will nicht irgendwann den Anruf kriegen sie sei mit einem wildfremden mitgegangen. Freiheiten ja, aber Wer diese haben will muss auch Regeln einhalten.

  10. Ich finde die Handlung konsequent. Selbst bin ich eine Mutter, die Ihre Kinder im Vergleich zu anderen Kindern im Umfeld eher selbständig unterwegs sein lässt. Aber vielleicht ist es bei Lady Gaga einfach noch zu früh. Jedes Kind ist anders. Aus meiner (Fern)Sicht hat sie tatsächlich nicht realisiert, was sie da tut. Sie hat nicht bewusst gegen die Regel: "komm direkt nach Hause" verstossen, sondern einfach das getan, was ihr in dem Moment gefiel. Das halte ich nicht ungewöhnlich für eine Fünfjährige. Und gerade weil es das zweite Mal ist: ich würde sie nach Möglichkeit erstmal nicht mehr allein nach Hause laufen lassen. Ist ja auch eine Art Konsequenz.

  11. Ich hätte genauso reagiert wie du. An der Schule anrufen und fragen ob sie mitgehen darf ist ok. Einfach mitgehen und hinterher anrufen nicht. Ich denke schon, dass sie sich daran erinnern wird – und dabei nicht an schimpfen von dir, sondern an ihr eigenes schlechtes Gewissen nach dieser Aktion.

  12. Huhu! Unser Sohn ist zwar noch nicht so "weit", aber ich hätte in dieser Situation auch so reagiert wie du..du hast einfach nur ganz konsequent gezeigt, dass das so nicht geht und ich finde, dass Kinder ganz klare Regeln bzw. Handlungsweisen brauchen. Sie weiß jetzt, dass du dir Sorgen machst und möchtest, dass sie das vorher mit dir abspricht. Ich finde es auch genau richtig, dass du nicht geschimpft hast, sondern ihr das ruhig erklärt hast und bei ihr ist es ja deutlich angekommen. Die Art wie du damit umgehst hat auch nix mit Milde oder so zu tun, sondern einfach nur mit Konsequenz. Liebe Grüße vom Sinchen

  13. MamaOTR Du hast alles richtig gemacht. Frl. LadyGaga darf in dem Alter auf gar keinen Fall alleine entscheiden. Leider weiß ich nicht warum Du sie überhaupt in dem Alter alleine gehen läßt. Als meine Tochter so alt war, (heute ist meine Tochter 32 Jahre alt, meine Enkeltochter 3 Jahre alt) habe ich sie auch ein-zwei mal alleine gehen lassen, weil sie das unbedingt wollte. Da bin ich aber von Gebüsch zu Gebüsch heimlich hinter ihr hergelaufen. Ich hatte damals nicht die Nerven, zu Hause zu sitzen und aus dem Fenster zu schauen, hätte ich aber glaube ich heute auch nicht. LG

  14. Du hast richtig reagiert. Im Alter von 5 Jahren hat man solche Entscheidungen einfach noch nicht allein zu treffen.
    Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, dass ich als Kind auch erst mit 8 oder 9 ohne vorherige Absprache zu Freunden durfte. Ich musste aber sofort von dort aus meine Mutti anrufen.
    Irgendwann war es "normal", dass ich nach der Schule zur besten Freundin gegangen bin oder sie mit zu mir ist. Manchmal mit spontaner Übernachtung. Unsere Muttis haben das aber nur zugelassen, weil wir ansonsten sehr zuverlässig waren und uns auch merken konnten, wenn wir an einem bestimmten Tag zuerst nach Hause kommen sollten.

  15. Ich hätte ganz genauso reagiert. Natürlich hat zum Zeitpunkt des Anrufes keine Gefahr für deine Tochter (mehr) bestanden. Aber ich bin mir sicher, hättest du sie dort essen lassen, hätte sie in ein paar Tagen wieder entschieden woanders zu essen. Oder vielleicht wäre ihr das nächste Mal eingefallen, auf den Spielplatz zu gehen, oder spazieren, oder oder oder… nene, sowas geht in dem Alter nicht.

  16. Ich finde, das Du das richtig gemacht hast, ich hätte es genauso gemacht! Ich – Mutter von zwei fast erwachsenen Kindern – bin der Meinung, dass ich in dem Alter entscheiden muss, WO mein Kind die Zeit verbringt! alles zu seiner Zeit, sage ich immer – und ein Kindergartenkind muss noch nicht alles erlebt haben, wie soll das Leben dann noch steigerungsfähig sein? Die Zeit für spontane Verabredungen kommt sicher noch (zum Beispiel, wenn das Kind ein eigenes Handy besitzt und VORHER und RECHTZEITIG anrufen kann). Und Spontanität ist oft nur ein Euphemismus für Unzuverlässigkeit.
    LG Jonna

  17. Wer wie ich als 6-jährige seinem 8-jährigen Bruder, als er angefahren auf der Strasse lag und um sein Leben schrie auf das schwerstverletzte Bein sah, wird die Schreie, die Bilder u d das Leid, dass dann über Jahre über der kompletten Familie lag, NIE vergessen – und so werde ich diese Dinge sicher nie entspannt sehen können! Meine Kinder kennen diese Geschichte, schliesslich sieht man meinem Bruder diese Verletzungen sehr an – und sind damit aufgewachsen. NIE wären sie auf die Idee gekommen, alleine eine große Strasse zu überqueren, weil sie es "könnten". Denn so aussehen wie mein Bruder, dass wog viel zu schwer! Ist es Mut, Überschätzung oder einfach nur fehlende Phantasie und Erfahrung…
    LG J.

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