Reden über die Fehlgeburt

«Über das tote Baby reden wir nicht.» Mir bleibt das belegte Brötchen im Hals stecken. Die Fehlgeburt ist auf einen Schlag vor meinem inneren Auge.

«Wie meinst Du das, LadyGaga?», frage ich. Wir sind beim Abendessen. Sie schaut mich vorsichtig von der Seite an. «Ich meine das Baby, das tot in Deinem Bauch war.»

Etwas verständnislos blicke ich sie an. «Doch, über das Baby können wir gerne sprechen, wenn Du möchtest. Das ist kein Tabu, LadyGaga.»

Sie zögert. «Du willst mir nicht sagen, wie es hiess.»

«Ja, das stimmt. Weil ich das noch ein Weilchen als Schatz bei mir behalten möchte. Aber wenn Du willst, erzähle ich Dir eines Tages, wie es geheissen hätte. Nur jetzt, wo Du noch jung bist, möchte ich nicht, dass Du es überall ausplapperst.»

Sie nickt nachdenklich.

«Hätte ich dann einen Bruder oder eine Schwester gehabt?»

«Ich weiss es nicht. Es war noch zu früh, um das festzustellen. Ich bin aber felsenfest davon überzeugt, dass es ein Mädchen war.»

«Eine Schwester….! Hätte ich dann den Copperfield nicht gehabt als Bruder?»

«Doooch, auf den hätten wir doch ungern verzichten wollen. So sehr wie er uns zum Lachen bringt. Das wäre doch ein echtes Versäumnis gewesen, oder?», grinse ich.

Sie nickt.

«Ich frage mich, wie es so wäre, wenn ich noch eine Schwester hätte. Aber bestimmt wäre mir das zu anstrengend, mit dem Teilen und dem Geschrei und so.»

Ich lache. «Die Entscheidung nehme ich Dir gerne ab. Dein Papa und ich möchten keine weiteren Kinder mehr. Wir fühlen uns komplett als Familie. Und wir sind nicht mehr so jung, um mit drei kleinen Kindern mithalten zu wollen.»

«Aber Du bist doch nicht alt!», empört sie sich.

«Nein, ich fühle mich schon noch jung. Aber ich denke, für drei Kinder hätte ich früher anfangen sollen mit dem Nachwuchs.»

«Kann ich bitte den Käse haben?»

(c) Fotolia
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Meine beiden Fehlgeburten liegen vier Jahre zurück. Ich denke oft daran, aber nicht immer. Was mit gutgetan hat? Das Reden über die Fehlgeburt. Ich dachte lange, es wird nie besser. Aber es WIRD besser. Gemerkt habe ich das, als ich vor ein paar Monaten mit LadyGaga und einem anderen Mädchen zusammensass, das plötzlich herausplatzte: «Meine Mama hatte ein Baby, aber das ist gestorben!» LadyGaga konterte: «Meine Mama auch. Die war deswegen in der Klinik.» Die beiden Mädchen kicherten, weil sie eine Gemeinsamkeit gefunden hatten. Und ich lachte am Ende auch, weil der kindliche Blickwinkel mir jeglichen Herzschmerz nahm. Es war mit einem Mal okay.

Von «damals» ist LadyGaga in Erinnerung geblieben, dass ich im Krankenhaus war und dort sicher ganz furchtbar aussah. Ich hatte bereits über 24 Stunden durchgeweint, als sie mich besuchte. Sie wusste damals nicht, warum ich in der Klinik war, das erklärte ich ihr erst später, um ihren fünften Geburtstag herum. Die Episode im Krankenhaus machte ihr Angst und Eindruck, deswegen vertiefe ich das auch nie, sofern sie mich nicht ihrerseits darauf anspricht. Aber die Konversation gestern hat mir gezeigt, dass der Verlust eines ungeborenen Geschwisterchens auch in den grossen Schwestern und Brüdern nachhallt – auch noch nach Jahren. Und was wird mich Copperfield eines Tages fragen? Wird er mit mir über die Fehlgeburt reden wollen? «Würde es mich geben, wenn Du keine Fehlgeburten gehabt hättest?»

Das Thema ist bestimmt nicht einfach. Aber ich finde es wichtig, dass wir die Geschwister altersgerecht in die Trauerarbeit miteinbeziehen, wo sie das wünschen bzw. wo Fragen ihrerseits bestehen. Natürlich hätte ich LadyGaga auch gar nicht zu erzählen brauchen, dass ich zwei Babys verloren habe. Aber das wäre nicht ich gewesen. Dafür sind mir unsere Sternenkinder zu wichtig. Sie gehören irgendwo dazu. Und sollten wir den Kindern nicht auch die Schattenseiten des Lebens und der Gefühle nahe bringen? Warum bin ich traurig, warum bin ich fröhlich? Wie fühlt es sich an, stolz zu sein? Was ärgert mich? Kann man traurig und trotzdem fröhlich sein?

Eine Fehlgeburt sollte kein Tabu sein und ist es dennoch oft. Reden und Fehlgeburt sind oft Gegensätze. Warum eigentlich?

Mit diesem Blogpost sende ich euch allen ganz viel Liebe ins Haus. Alles wird gut.

Und da ich das Thema so wichtig finde, hier ein paar Links zu anderen Bloggerinnen, die sich mit dem Thema Fehlgeburt auseinandersetzen. Bitte meldet euch, falls ich auch euren Beitrag verlinken soll!

 

Aktualisiert am 29. November 2019

20 thoughts on “Reden über die Fehlgeburt

  1. Zu einem Tabu wird es wohl, weil es schmerzt….weil richtige Worte nicht gefunden werden aber glauben gesagt werden zu müssen. Aber ich finde, es wird immer offener kommuniziert und ich finde es schön, wenn die Kinder mit einbezogen werden…wenn sie dies wollen…auf ihre Ganz natürliche, einfach Art….love this!

  2. Ich habe das Thema bisher Kurzem gegenüber nicht angesprochen.
    Er wünscht sich sooooo sehr ein Brüderlein oder Schwesterlein und vielleicht wäre es für ihn tröstlich zu wissen, dass er fast ein grosses Geschwister gehabt hätte? Oder würde er noch mehr hadern? Ich weiss echt nicht, wie ich mit der Frage umgehen soll 🙁

    1. Das ist echt schwierig. ich denke, am Ende ist es das Bauchgefühl, das zählt. Ladygaga hat mich damals plötzlich gefragt, warum ich eigentlich im Krankenhaus gewesen war. Anlügen wollte ich sie nicht. Ich persönlich würde nicht zu lange warten, also nicht erst, wenn er Teenie ist. Aber das hängt sicher von der Konstellation ab. ich drück Dich!

  3. Ich habe auch zwei Kinder verloren, aber so wirklich Thema ist das bei uns nicht. Unsere große Tochter weiß davon, da sie die zweite Fehlgeburt miterlebt hat. Damals hat sie auch gefragt, inzwischen weiß sie alles & hat kein Interesse mehr. Unser Sohn war da noch nicht auf der Welt & weil er schon viel mit Thema seiner zwei Halbgeschwister kämpft und nicht versteht warum er sie nicht kennenlernen darf, weil sie zu ihren Vater (mein Mann) kein Kontakt wollen, will ich ihn damit nicht auch noch belassten.
    Irgendwann werden wir ihn aber davon erzählen.

    Lg Nicky

  4. „Kann ich bitte den Käse haben?“ 🙂
    Kinder gehen Vieles so unverkrampft und selbstverständlich an. Ich halte es auch für wichtig und auch richtig, sie altersgerecht miteinzubeziehen. Aber dieses „was wäre wenn“ darf man nicht denken. Das kleine F würde es in unserem Fall vielleicht auch nicht geben, wenn ich nicht ein Jahr vorher im Krankenhaus gewesen wäre. Meine Oma sagt immer, alles kommt so, wie es muss.
    Ich drück dich. Danke für diesen Post!

  5. Meine Mutter hatte, zwei Jahre vor meiner Geburt, in der 33 Ssw eine stille Geburt. Mein großer Bruder war zu dieser Zeit 3 Jahre alt. Bei uns zu Hause war dieser andere Bruder nie ein Tabu, ich wusste immer ich habe noch einen großen Bruder. Meine Eltern haben uns immer erzählt er ist unter einer schönen Trauerweide, in der Nähe ihrer damaligen Wohnung beerdigt. Was heute nicht vorstellbar, meine Mutter dürfte das Kind nicht mal sehen, mein Vater hat sich im Kreißsaal einfach widersetzt, dieses Kind durfte nicht beerdigt werden.
    Ich selber hatte zu Beginn des Jahres eine frühe Fehlgeburt & auch ich werde meinen Kind und zukünftigen Kindern nicht vorenthalten dass sie noch ein Geschwisterkind haben.
    Ich persönlich habe mir nie die Frage gestellt ob es mich evtl nicht geben würde. Ich denke das hat auch viel damit zu tun dass es in meiner Familie kein Tabu war darüber zu sprechen & nicht irgendwann „aufgedeckt“ wurde sondern Teil unser Familie ist.
    Liebe Grüße Indijana

  6. Das erste Kind meiner Eltern wurde nur einen Tag alt. Vor meinem Bruder hatte sie eine Fehlgeburt. Ich weiß nicht genau, wann sie es mir erzählte, aber gegühlt wusste ich es, bevor ich in die Schule kam. Und es war für mich immer wichtig. Mein ältester Bruder hatte einen Namen, er hat kein Grab, weil es vor 58 Jahren nicht üblich war, meine Eltern in die Entscheidung gar nicht einbezogen wurden. Aber sie haben mir, der Jüngsten, immer davon erzählt. Und ich habe auch immer wieder gefragt, mir meinen großen Bruder vorgestellt. Für beide Seiten war es wichtig, darüber zu reden.
    LG, Rosa

  7. Beim drüber lesen gerade gemerkt, dass ich mich unklar ausgedrückt habe: Aldo ein Kind, das nach der Geburt starb, und nach dem 2. Kind noch eine Fehlgeburt. Beides war immer Thema.

  8. Ein wichtiges Thema und ich bin sehr froh, dass Du es aufgreifst.

    Ich hatte selbst auch eine Fehlgeburt und finde, dass Geschwisterkinder es wissen sollten.

    Kinder haben einen sehr unkomplizierten Umgang mit dem Tod und dem Sterben.

    Viel schwieriger ist es, wenn man ein Geheimnis in der Familie platziert, Kinder haben sehr feine Antennen dafür.

    Das Thema ist ein Tabu und wir Frauen werden kaum darauf vorbereitet.

    In der Schule habe ich viel über Verhütung gelernt, Fehlgeburten kamen nicht vor.

    Nun haben wir selbst 2 Jungs, aber ich finde auch die müssen wissen, dass nicht jede Schwangerschaft zur Geburt eines gesunden Kindes führt.

    Herzliche Grüße

    Silke

  9. Ich kämpfe auch schon lange dafür, dass das Thema kein Tabu mehr ist, weiß aber noch nicht, wie ich damit umgehen soll, wenn meine Kinder mal danach fragen. Meine Fehlgeburt war lange vor meinen Kindern und sie wissen bisher nichts davon. Irgendwie tue ich mich schwer, so kindgerecht-leicht darüber zu sprechen. Ich habe keine Ahnung, wie das mal sein wird. Besonders schwierig finde ich den (aus Kindersicht nur logischen) Gedanken, dass es das letzte Kind eventuell nicht geben würde, wenn die Fehlgeburt nicht gewesen wäre. Ich weiß nicht, wie ich das Problem auflösen soll, wenn es mal auf mich zukommt.

    Wenn Du magst, kannst Du gern meinen Bericht verlinken:
    http://fruehlingskindermama.blogspot.de/2015/10/der-verlust-meines-ersten-kindes-und.html

    Liebe Grüße und <3!

  10. DANKE für Deinen Beitrag! Ja, ich stimme Dir voll zu: Das sollte kein Tabu sein; schon gar nicht, weil es leider so häufig passiert. Ich bin auch noch stark dabei, den Verlust unseres Küstenminis zu verarbeiten, denn das ist noch gar nicht lange her…

    Unseren Küstenkindern mussten wir nichts sagen, sie haben es einfach gemerkt, obwohl oder gerade weil sie noch so klitzeklein sind. Doch später werden wir sicher auch mit ihnen darüber sprechen; jedenfalls, wenn sie das Bedürfnis danach haben.

    Ich hoffe sehr, dass sich die Gesellschaft dahingehend entwickelt, dass mit diesem Thema sowohl offener, als auch liebe- und verständnisvoller umgegangen wird, denn genau das hat man dann bitter nötig. Deshalb habe ich auch meinen #muttertagswunsch entsprechend verfasst (wenn Du magst, verlink gerne, aber nur, wenn es ok ist): http://kuestenkidsunterwegs.blogspot.dk/2016/05/mein-muttertagswunsch-anerkennung-fur.html

    Viele liebe Grüße und eine Umarmung, wenn Du magst,

    Küstenmami

  11. Ich weiß noch, ziemlich genau, wie furchtbar ich den damaligen Schmerz empfunden habe. Als das Gefühl dazu kam, dass ich nicht darüber reden kann/darf/soll und außerdem Schuld und Scham dazu kamen, habe ich meine Gedanken zum Thema erst gebloggt und dann ein Buch, einen Roman dazu verfasst. Er hat lange Zeit in der Schublade gelegen, bis mein Mann meinte, ich solle es veröffentlichen.

    Als ich entschied, unser Sternenkind auch in unserem Umfeld zu thematisieren, entschied ich gleichzeitig, dass auch die Jungs zum richtigen Zeitpunkt davon erfahren sollten. Denn schließlich bekamen sie mit, wie aufgelöst, verzweifelt und traurig ich war. Ich konnte einfach nicht nur sagen, „Mama ist traurig.“ sondern wartete den Moment ab, in dem ich selber die richtigen Worte fand und das Bauchgefühl mir sagte, „Es ist ok und wichtig.“ Das Gefühl es nicht auf die lange Bank zu schieben, war von Anfang an da.

    Seitdem gehört Fieby dazu. Sie ist unser Mädchen und wir werden uns wiedersehen.Davon bin ich überzeugt und es macht den Schmerz von heute erträglicher. Die Trauer ist noch immer da. Aber die Wellen reißen mich schon lange nicht mehr so mit, wie damals.

    Die Jungs gehen sehr offen damit um. Fanden es anfangs auch traurig, doch auch für sie wurde aus dem traurig sein relativ schnell ein Bewusstsein und Fieby gehört dazu.

    Ich mag hier keine Werbung für das Buch machen. Denn in der Tat sollte es ein drittes Mal Korrektur gelesen werden. Nichtsdestotrotz sollte es raus. Ich hinterlasse daher einfach nur mal meinen Link zum Blogpost: http://www.mamadenkt.de/beim-frauenarzt/

    Danke, dass auch du es zum Thema machst. Und all ihr anderen Herzensmenschen.

  12. Ich habe auch ein Baby verloren. Oder besser gesagt, mein Körper hat den zweiten zweieiigen Zwilling abgestoßen. So ungefähr um die 12 Woche war das 2 Baby nicht mehr da obwohl ich engmaschig kontrolliert wurde.
    Er war einfach nicht mehr da, ich hatte aber auch keine Blutungen. Man drängte mich enorm zu einem SS-Abbruch den ich jedoch ablehnte.
    Ich dachte mir, die Natur wird es wohl so eingerichtet haben dass es so passiert ist. Jeder weitere Tag war ein Risiko. Und ich war jeden Abend dankbar dass ich den Tag ohne Fehl- bzw Frühgeburt überlebt hatte obwohl die älteren Geschwister zu diesem Zeitpunkt erst 2 Jahre und 5 Monate alt waren.
    Die Schwangerschaft war nicht einfach. Und ich war glücklich dass meine Tochter 39+4 gesund und mit einer wunderbaren Geburt auf die Welt gekommen ist.
    Sicher wissen die großen Geschwister, dass da noch ein Baby im Bauch war. Und auch die Kleine weiß es. Aber es wird nicht darüber gesprochen.
    Zum einen fühlt sich meine Jüngste (8 Jahre) immer schuldig dass sie überlebt hat, zum anderen möchte ich nicht so viel darüber sprechen um meine Jüngste nicht zu sehr zu Belasten. Und ich habe auch kein Bedürfnis mehr darüber zu sprechen.
    Sicherlich denke ich ab und zu an das Baby. Und ja, ich stelle mir vor wie es wäre wenn ich Beide bekommen hätte. Aber es ist nicht so geworden. Ich denke, mein Körper wusste schon was er tat, als das Baby abgestoßen wurde. Zu Beginn, als es passierte, war es für mich nicht leicht.
    Ich hoffe es kommt jetzt nicht kaltherzig oder gefühllos rüber. Aber ich bin so glücklich und dankbar, dass ich meine Jüngste habe und genieße jeden Tag mit ihr.
    Mein 4 Baby ist im Sternenhimmel. Nur der liebe Gott weiß warum. Die Tatsache den Verlusst zu akzeptieren hat mich von meiner tiefen Trauer über den Verlusst befreit.

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