Authentizität als Eltern ist wichtiger denn Aufopferung

Es war etwa ruhig hier, denn es war viel los in meinem Leben. Ich bin ausserdem an einem Punkt angelangt, wo ich mir überlegen muss, was genau ich von meinen Kindern preisgebe. Denn das Dorf liest mit, und LadyGaga geht in die Schule. Ich will und muss sie schützen. Das hat mich in einen Schreib-Clinch gebracht.

Dann habe ich gestern wieder die vielen Mails gelesen, die mich nach meinem Artikel in der Brigitte MOM erreicht haben. Es ging darum, dass ich mich als Karrieremutter sehe, die auch Kinder hat. Und mir wurde klar, dass ich weiterhin darüber schreiben will. Schreiben muss. Ich will hierzu eine Stimme haben bzw. sie nicht senken. Denn ich bin nicht alleine. Ihr seid da.
Also erzähle ich weniger Anekdotisches von meinen Kindern und mehr Situatives aus dem Leben einer berufstätigen Schweizer Mutter. Mir.

Es ist nie genug

Kinder kennen unsere Schwachstellen. Meine sind da keine Ausnahme. Es versetzt mir mehr als einen Stich, wenn die Grosse mir entgegenschleudert, dass ich sie zu wenig beachte. Ich (be)achte sie sehr viel. Ich schätze sie. Es gibt immer wieder exklusive Mama-Tochter-Zeiten. Ich bin immer da, wenn sie mich braucht. Aber es scheint immer zu wenig zu sein. Oder?

Während der Aufbauphase meiner Selbständigkeit habe ich jedes Wochenende mindestens fünf Stunden gearbeitet, eher mehr. Dem ist jetzt nicht mehr so, meine Arbeitszeiten sind strukturierter. Am Wochenende arbeite ich sehr sehr selten. Als ich vor kurzem an einem Samstag einen der momentan wirklich seltenen Blogbeiträge schreiben wollte, platzte meine Tochter ins Büro und schmollte wütend: «Nie hast Du Zeit für mich! Die Arbeit ist Dir wichtiger!»

Um das klarzustellen: Wenn die Kinder da sind, arbeite ich nicht, ich schreibe mal eine dringende Mail oder telefoniere kurz. That’s it. Aber ich räume das Haus auf, erledige den Haushalt, spiele zwischendurch mit den Kindern. Es ist kein Dauerbespassungsprogramm. Ich bin nicht die Bastelmutti und schlafe auch regelmässig ein, wenn ich mit Copperfield und seinen drölfzigtausend Autos auf dem Teppich BrummBrumm spielen muss.

Der Vorwurf war also rational völlig ungerechtfertigt. Aber er sass tief. Ich sage ja selber, dass ich eine Karrieremutter bin!

Das JA-Tage-Fiasko

Also habe ich letzte Woche total unbewusst Ja-Tage eingeführt. Ich habe das erst im Nachhinein gemerkt. Was geschehen ist? Die momentan dauernde Eifersucht auf den kleinen Bruder, die exzessiven Schmollattacken und der Vorwurf, dass ich immer (!) alle (!) ihre Ideen (!) doof finde (!), haben mich mürbe gemacht.

Ich wollte und will ja, dass mein Kind sich geliebt fühlt. Also ging ich mit ihr alleine einen Adventskranz kaufen. Sie durfte ihn aussuchen. Was macht mein Kind? Sucht sich natürlich den teuersten und pompösesten Adventskranz aus, den man sich nur denken kann. Harald Glööckler hätte seine Freude daran. Aber ich hatte meiner Tochter gesagt, dass sie ihn aussuchen darf und wollte konnte durfte doch nicht NEIN sagen. Ich bezahlte zähneknirschend den Kranz im Wert eines Dinners für eine vierköpfige Familie. Und deren Freunde. Und den Familienhund.

Zuhause wollte sie mit mir tanzen. Also tanzten wir, obwohl mir nicht danach war. Wir bastelten, obwohl ich keine Lust hatte. Wir spielten. Wir dekorierten das Haus adventlich. Wir machten alles, was sie vorschlug, und es hatte auch gute Ideen dabei:

Mit Woody-Stiften bemaltes Advents-Fenster im Flur.

Beim Baum und beim Kranz sieht man ein Smiley. So übel kann unsere Familie also doch nicht sein, oder? ODER?! Der Adventskranz bzw. dass sie ihn aussuchen durfte, scheint sie jedenfalls glücklich gemacht zu haben.

Das Malen hat viel Spass gemacht, es war nicht alles doof für mich an diesem Ja-Tag. Aber ich fühlte mich nicht gut dabei, ohne es genauer greifen zu können. Ich war Harmonie-bedürftig. Am nächsten Tag gingen wir dann nach der Schule um 16 Uhr alleine einkaufen. Sie wollte zuerst ins Migros-Restaurant, um etwas Süsses zu essen. Ich liess sie gewähren, obwohl es eigentlich nicht in den Zeitplan passte. Am Ende konnte ich Copperfield nicht aus der Kita abholen, weil wir zu spät dran waren. Mein Mann musste einspringen.

Als wir uns zuhause trafen, sah ich einen komplett aufgelösten Copperfield. Ich hatte ihm am Morgen nämlich versprochen, dass ICH ihn aus der Kita abhole, und er war bitter enttäuscht von mir. Ich hätte am liebsten mitgeweint. Ich habe aus Liebe zu einem Kind das andere vernachlässigt. Ich schien alles falsch zu machen.

Und wo bin ich?

Während dieser Tage, in denen ich mal einfach alles machte, was LadyGaga gut fand, ging es mir absolut mies. Dabei wird das ja oft propagiert: Einfach mal JA sagen zum Kind. Die ganze Zeit dachte ich dabei: Und wo bin ich?! Aber ich handelte aus Liebe zu meinem Kind. Und Ohnmacht. Was muss ich tun, damit dieses Kind glücklich ist? Mich verstellen? Eine andere Mutter sein als ich bin?

Ich bin jetzt wieder die Alt-Mama. Diejenige, die oft streng ist und sagt, wie und wo der Hase läuft. Die nicht alles mitmacht und Grenzen setzt. Weil es das ist, was die Kinder brauchen: Grenzen. Und noch etwas brauchen sie: unsere Authentizität als Eltern.

Denn was wir Eltern den Kindern geben, ist NIE GENUG. Du kannst backen und basteln und tanzen und sobald Du fertig bist, heisst es: Und was machen wir jeeeeeeetzt? Es ist einfach nie genug, und das ist auch OK so. Es bedeutet aber auch, dass man nicht jedem Wunsch nachgeben muss. Wir bleiben sonst selber auf der Strecke.

Also arbeite ich weiter mit vollem Einsatz und Hingabe in meinem Job als Businessmom. Das schlechte Gewissen begleitet mich zwar und winkt zwischendurch. Aber ich weiss auch: Wenn ich nicht arbeiten würde und immer da wäre für die Kinder, wäre es A) trotzdem nie genug und B) wäre ich totunglücklich. Also bin ich lieber eine glückliche, arbeitende Mama, die genug Kraft hat, die Moods der Kinder durch alle Lebenslagen zu (er)tragen. Wenn ich ausgeglichen bin, bin ich eine bessere Mama. Daran halte ich mich fest.

Etwas nehme ich aber mit von letzter Woche: Ich muss auch nicht immer NEIN sagen, sondern darf und sollte den Ideen der Kinder mehr Raum geben. Manchmal kommt echt Gutes dabei raus.

Erlebt ihr ähnliches?

4 thoughts on “Authentizität als Eltern ist wichtiger denn Aufopferung

  1. Das ist nicht ganz, was gemeinhin unter ‚mehr Ja sagen‘ gemeint ist, denke ich. Auch wenn man sich vornimmt, mehr Ja zum Kind zu sagen, muss man abwägen, ob es die eigenen Grenzen überschreitet. Es sollte immer ein Abwägen von den Bedürfnissen aller sein. Zum Beispiel beim Weihnachtskranz: Er war dir zu teuer. Lady Gaga wollte ihn gern. Hast du ihr gesagt, dass er unfassbar teuer ist? Oder hast du das runtergeschluckt, ‚weil du ihr ja versprochen hattest…‘? Vielleicht hätte sie sich einen anderen ausgesucht, wenn du ihr das Dilemma dargelegt hättest? Und wenn nicht, wenn sie also auf diesen mega teuren Kranz bestanden hätte, hättest du wieder abwägen können: Ist es dir das wert? Kannst du dir das leisten, um deine Tochter glücklich zu machen? Wenn ja, super, dann ja. Wenn nein, dann wäre an der Stelle deine Grenze überschritten gewesen und dann gilt in letzter Instanz das, was du entscheidest. Weil du erwachsen bist und den Überblick über eure Finanzen hast. Wenn Lady Gaga in diesem Moment sauer ist und dich beschmipft, dann ist das so- das müssen wir aushalten.

    Immer Ja zu sagen, weil man den Wutausbruch der Kinder fürchtet, ist tatsächlich der falsche Weg. Aber mehr Ja zu sagen zu Sachen, zu denen man sonst aus Bequemlichkeit Nein sagt, das hilft in der Beziehung zu den Kindern. Das Anmalen eures Fensters im Flur zum Beispiel. Das hat Lady Gaga glücklich gemacht und du fandest es (wider Erwarten?) auch ganz schön.

    Ich zum Beispiel spiele mit meinen Kindern nicht alles, was sie sich wünschen. Manche Dinge finde ich so gähnend langweilig, dass ich innerlich dabei grumpelig werde. Deshalb sage ich: ‚Das möchte ich nicht spielen. Können wir etwas finden, was uns beiden Spaß macht?‘ In 4 von 5 Fällen finden wir etwas. Im 5. Fall, wenn meine Kinder auf ein bestimmtes Spiel bestehen, überlege ich scharf, ob ich mich überwinden kann. Wenn ich das Gefühl habe, sie sind an dem Tag schon öfter ‚zu kurz‘ gekommen, spiele ich das Spiel dann doch. Hatten sie aber schon viel meiner Aufmerksamkeit, dann spiele ich nicht.

    Wichtig ist, und das hast du wirklich gut geschrieben, sich nicht zu verbiegen. Das macht Eltern einfach nur unglücklich.

    Liebe Grüße, Snowqueen

  2. Ich glaube, dieses „nie genug“ kommt vielleicht daher, dass in den von Dir beschriebenen Fällen Wunsch und Bedürfnis nicht übereinstimmen. Dann kann man tausend Wünsche erfüllen – das dem Wunsch zugrunde liegende Bedürfnis wird weiter bestehen. Das ist wie der Unterschied zwischen Hunger und Gluscht: Wenn der Körper eine richtige Mahlzeit benötigt, da kannst du noch so lange Gelüste befriedigen, der Hunger wird trotzdem nicht weggehen.
    Ich glaube nicht an das Märchen, dass Kinder Grenzen brauchen. Was sie brauchen sind verlässliche Eltern, die einen Rahmen vorgeben, innerhalb dessen sie sich bewegen können. Eltern, bei denen Sagen und Tun übereinstimmen. Wenn ich etwas nur dem Kind zuliebe tue, das ich aber gar nicht tun will, dann haben unsere Kurzen ganz feine Antennen dafür und zeigen uns durch ihr Verhalten, dass wir gerade selber neben den Schuhen stehen 😉 Und was Kinder auch brauchen sind Eltern, die ihre eigenen Grenzen kommunizieren: Ich bastle nicht gern und deshalb werde ich nicht mit dir basteln. Kinder brauchen konsequente Eltern, d.h. Eltern, die zu sich selber und ihren Werten stehen und bei denen sich diese Werte auch nicht ständig ändern. Kinder brauchen klare Regeln und fairerweise sagt man ihnen auch die Bedingungen: Ja, du darfst dir einen Kranz bis 20 Franken aussuchen und alle Farben ausser Rosa. Dann „funktionieren“ sie sofort viel besser 😉

    (aber das ist eine theoretische Diskussion, denn ich habe Dich mit Deinen Kindern umgehen sehen: so weit sind wir gar nicht auseinander…. )

  3. Ich glaube, das ist die Kunst der Elternschaft: die richtige Balance zwischen „Ja“ und „Nein“ zu finden, sodass alle halbwegs zufrieden sind. Das ist im Alltag oft gar nicht so leicht. Ich merke es daran, wenn ich grummelig und gereizt bin – dann weiß ich, ich habe mich zu oft verbogen, habe womöglich zu oft „Ja“ gesagt.

    Liebe Grüße
    Schokomama

  4. Guter Text zum Thema Bedürfnis-Check.
    Es muss für alle passen. In meiner Erfahrung verträgt sich das Ja-Sagen sehr gut mit klarem Nein-Sagen – zumindest beim Kind in Ladies Alter. Es führt nicht zu Begeisterung, aber wenn ich klar sage „Jetzt nicht, ich bin müde. Und wenn du mich dazu überredest was mit dir zu machen, bin ich dabei nur grummelig und es ist uns beiden nicht geholfen. Worauf hast du stattdessen Lust“ (Verhandlerkind versuchts dann natürlcih mit TV-Privilegien, aber hej, versuchen kann mans mal)

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