Von Zensur, Hackern und der 40

Im Januar habe ich ganze fünf Blogposts geschrieben. Im Dezember waren es deren drei. Spiegel meiner Ratlosigkeit (und meines akuten Zeitmangels). Meine Tochter wurde letzten August eingeschult, und plötzlich sind neue Themen relevant geworden. Themen, über die ich nicht bloggen will, weil sie in die Privatsphäre meiner Tochter gehören. Und weil sie andere Kinder tangieren. Mit Bekannterwerden des Blogs habe ich zwar schon länger aufgehört, über soziale Begegnungen im Dorf zu bloggen. Aber früher war der Blog noch mehr meine Spielwiese. Ich habe mir von der Seele geschrieben, was mich beschäftigt hat, stets persönlich motiviert und subjektiv. Denn das ist es, was der Blog in seinem Ursprung bedeutet: ein digitales Tagebuch (die Bezeichnung Blog ist eine Wortkreuzung aus Web und Log). Wobei ich nie Tagebuch-Schreiben betrieben habe. Ich betone ja immer, dass ich Bloggen als Storytelling verstehe: Keiner meiner Texte ist 1:1 so passiert. Bloggen ist für mich zur Kunstform geworden wie ein Porträt, ein Feature, ein Interview. Aber Mama on the rocks – das bin immer noch ich.

Aber worüber schreibe ich noch, wenn ich mich bei LadyGaga selber zensiere? Soll ich einfach bei Copperfield weitermachen, bis er eingeschult wird?

Und dann das. In meinen Ferien letzte Woche erreichte mich ein Leserbrief, den ich nicht einzuordnen vermag. Ist er echt, ist es ein Troll? Ich zitiere:

Könnte es nicht sein, dass manche Kinder (und Eltern) den Kontakt zu Ihren Kindern nicht pflegen weil Sie nicht öffentlich in Ihrem Blogg verhandelt bzw. beurteilt werden wollen. Wenn ein Kind mit Lady Gaga verkehrt muss es damit rechnen das sein Verhalten öffentlich abgestraft wird und das dann Wort für Wort im Internet veröffentlicht wird? […] Lesen Sie mal „Die Sache mit Marla“, als ob jemand anders dies geschrieben hätte […] Was würden Sie als Mutter (Bzw. Clan „Marla“) denken, wenn dies über Ihre Tochter im Internet veröffentlicht worden wäre? […] Böse Zungen könnten behaupten Sie machen Blogg-Karriere auf dem Buckel Ihrer Kinder.

Die Sache mit Marla bezieht sich auf meine Blogparade zum Thema Kindergartenmafia. Ich hatte darin eine Szene beschrieben, die so oder ähnlich mit Marla passierte, die meine Tochter mobbte. Meiner Meinung nach ist das Kind nicht erkennbar, aber ich habe die Textpassage um Marla nun noch mehr verwässert. Weil es nie meine Intention war, ein fremdes Kind auch nur ansatzweise öffentlich zu diffamieren. Aber ein Blog ist ein persönliches Ventil. Doch mit der Grösse des Blogs wächst auch die soziale Verantwortung, und deren bin ich mir durchaus bewusst! Das Witzige dabei ist ja, dass ich Marla mittlerweile sehr gut leiden kann.

2014 habe ich geschrieben:

Ich bin kein Dorfmensch. Ich plaudere nicht mit anderen Müttern und gehe auch nicht ins Frauenturnen. Kaffeekränzchen ist nicht meins.

Ich gestehe, ich hatte Mühe, mich ins Dorfleben einzufinden. ABER: Die Dinge ändern sich! Auch meine Meinung zu 2014 darf sich verändern! Was hier im Blog steht, ist nicht sakrosankt! Ich habe Freunde im Dorf gefunden (über die ich eben nicht schreibe!). Ich nehme an Kaffeekränzchen teil (die ich mag!), man hilft sich gegenseitig bei den Kinderfahrdiensten aus. Ich plaudere tatsächlich mit anderen Müttern (ohne Mommy Wars!). Ich bin angekommen. Es gibt auch Dinge, die mich ärgern. Aber darüber schreibe ich nicht. Weil eben keiner aus meinem Umfeld Angst haben muss, hier seziert zu werden.

Heute schon gehackt worden?

An meinem letzten Urlaubstag erreichte mich eine SMS meiner Schwägerin. Mein Blog war gehackt worden. Mein Blog ist mein Baby. Und doch verfiel ich nicht in Schockstarre, als ich davon erfuhr, kilometerweit von einem Computer entfernt, an dem ich gegen den Hack hätte intervenieren können. Ich dachte nur: Dann ist das jetzt halt so. Kein Blog mehr. Ein Wink des Schicksals. Ein Spiegel meiner eigenen Unruhe. Dazu der Gedanke: Es gibt mittlerweile so viele Elternblogs, die Stimmung untereinander ist merklich abgekühlt. (Hierzu hat die Grummelmama vor kurzem ganz wunderbar gebloggt.) Warum sollte es also Mama on the rocks noch geben?

Dann passierte etwas. Ich erhielt zahlreiche besorgte Mails von Leserinnen, die mich wegen des Hacks informierten. Das war es. Dafür schreibe ich. Nicht für andere (Eltern-)Blogger, nicht für das Dorf, nicht für den Troll. Ich schreibe für meine Leser, die meine Texte lieben. Ich schreibe für meine Kinder, damit sie später etwas von mir als Vermächtnis haben. Ich schreibe für mich und nehme meine Leser mit auf meine Reise, wohin auch immer sie mich führen wird. Mit der 40 werde ich dieses Jahr auch meinen Blog thematisch neu justieren. Denn einen Schuh ziehe ich mir nicht an: Ich mache nicht Blog-Karriere auf dem Buckel meiner Kinder. Das habe ich auch gar nicht nötig. Der Blog, das bin immer noch ich. Kommt ihr mit?

16 thoughts on “Von Zensur, Hackern und der 40

  1. Ein Blog lebt nur solange wie der Autor Freude daran hat, darum ist es immer wieder gut den Blog regelmässig zu überprüfen. Geh in dich, schau was dir gefallen hat in deiner Blogger-Reise und dann findest da sicher einen coolen Weg.

    Btw auf das Gezicke sollte man nicht so achten – sondern dein Ding durchziehen. Trolle sind Neider die zu wenig Eier haben selbst was auf die Beine zu stellen und sich der Öffentlichkeit zu präsentieren.

  2. Ich lese dich immer gerne 🙂
    Ich hatte den Schockstarremoment noch viel schlimmer und das schreibe ich nur hier, weil ich mir sicher bin, dass die Dame es nicht bis hier her schafft 😉
    Beim 1. Gespräch wie sich Jolina so als Inklusionskind in der Regelschule macht kam nach einem positiven Gespräch nachdem ich auf Wolke 7 schwebte die kalte Dusche.
    „Ich muss jetzt mal etwas ansprechen“ sagte die Lehrerin „Ich muss ja Angst haben, das alles was ich mache von ihnen veröffentlicht wird. Ich bin bekannt bei ihnen im Dorf, jeder spricht über mich.“
    Ich hatte tatsächlich den Namen der schule genannt weil ich ganz viel Werbung machen wollte und so glücklich war und ich hatte als menschlichen, liebenswerten FauxPas den Schreibfehler der Lehrerin auf der Tafel zur Einschulung als Bild verblogt und sie als Frau F. tituliert.
    Dieser Dame ist glaube ich gar nicht bewusst, dass man meine Blog vielleicht auch in meinem Dorft liest, doch eher wohl in Köln, Berlin oder Basel. Dort kennt man sie sicher nicht, das habe ich aber nicht gesagt.
    Nur weil ich bloge war plötzlich aus Friede, Freude Eierkuchen ein seltsames Verhältnis geworden. Ich will doch meinem Kind nicht schaden, nun werde ich gar nichts mehr von der Schule blogen können, sei es noch so anonym ohne Bauchweh.
    Warum glauben andere nur immer man würde sie in schlechtes Licht stellen, diese Leute nehmen sich zu wichtig, fühlen sich wie der Nabel der Welt.
    Ich mache weiter und gut, dass es dich weiter gibt, wie auch immer 🙂

    1. ja blöd wenn die anonymisierung eben nicht so anonym ist.

      hier kann ich nur einen Tipp geben – nimmt nicht offensichtliche Namen als Anonymisierung. Wenn ich über lustige Kunden diskutiere sag ich auch nicht Firma X sondern einfach Lieferant – Wissensvermittler usw.

      Nie Firmennamen oder so weitergeben. Ich habe schon öfters erlebt, wie Leute immer noch total Angst vor diesem Internet haben und sagen „das tut man doch nicht – keine Ahnung wer das alles lesen kann“ usw…

  3. Jetzt hab ich kurz einen Schreck bekommen, das Du gehst… Zensur üben wir selber an uns und das ist auch ok denn wir entscheiden ja worüber wir schreiben und das wir Texte haben die wir so heute nicht mehr empfinden ist auch klar- wir werden ja auch älter und Themen verändern sich.
    Ich freu mich das Du bleibst…
    Viele Grüße
    Dani

  4. Aber sicher komme ich mit! Man lebt, wird älter und verändert sich, da verschieben sich auch unsere Themen und Schwerpunkte. Ich bin gespannt wohin die Reise gehen wird!

    Viele Grüsse

    Sabrina

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