Vor kurzem schleuderte mir LadyGaga frühmorgens einen Satz entgegen, der mich sehr traf: «Manchmal habe ich das Gefühl, Du schickst mich nur in die Schule, damit Du arbeiten kannst.»
BÄMM. Das sass.
Die Kinder morgens für die Schule bzw. die Kita fertig zu machen, ähnelt meist einem Spiessrutenlauf. Ist eines der Kinder mit dem falschen Fuss aufgestanden? Passen die Socken auf Anhieb? Habe ich Copperfield den Kakao auch ja von der richtigen Seite her gereicht?
Es gibt eigentlich fixe Stationen: 6.30 Uhr aufstehen (für mich), 6.50 Uhr aufstehen (die Kinder), 7 Uhr gemeinsames Frühstück, LadyGaga muss um 7.40 Uhr Schuhe und Jacke anziehen und um 7.50 Uhr aus dem Haus gehen. Wenn da unterwegs «etwas» (als Eltern wisst ihr, das kann de facto ALLES sein) passiert, das uns aus der Bahn wirft, ist Streit vorprogrammiert. «Du musst jetzt wirklich looooos, LadyGaga!» zu sagen, ist dabei sehr kontraproduktiv. Sehr sehr SEHR kontraproduktiv, wenn ihr versteht, was ich meine. Auch wenn ich nachher gleich Copperfield in die Kita bringen muss und um 8.30 Uhr die erste Telefonkonferenz ansteht – ich darf nix sagen. Das kann ich aber nur selten. Ich bin ja keine Schweigsame. Dann brennt irgendwo die Sicherung durch, entweder bei mir, bei ihr oder bei ihrem Bruder. Denn wenn der keine Lust hat aufzustehen, tickt die Bombe gnadenlos. (Ich freue mich ja schon auf seine Pubertät, wenn er schon jetzt kaum aus dem Bett zu kriegen ist…).
Jedenfalls zurück auf Anfang. «Du schickst mich nur in die Schule, damit Du arbeiten kannst.»
Sofort hatte mich das schlechte Gewissen im Griff. Es stimmt ja, das arme Kind hat so Recht! Ich muss arbeiten und will die Kinder irgendwie pünktlich und ohne Kollateralschaden aus dem Haus kriegen. Ich. Bin. So. eine. Rabenmutter. RABÄH.
Als die Kinder dann tatsächlich endlich aus dem Haus waren, kam ich ins Grübeln. Und heulte mich bei einer Freundin aus. Was sie sagte, möchte ich euch weitergeben, denn es hat mir sehr geholfen:
«Du musst arbeiten. Punkt. Das ist Fakt. Da ist nichts Verwerfliches dran und nichts Abwertendes dem Kind gegenüber. Arbeit ist kein Freizeitvergnügen. Nur weil es Dich erfüllt und Dir Spass macht, musst Du kein schlechtes Gewissen haben, wenn Du Deine Zeit mit Arbeit verbringst. Arbeit gehört zum Leben nun mal dazu. Wenn LadyGaga Essen und Kleidung und Urlaub will, muss sie Dir das Arbeiten ermöglichen. Sie ist gross. Sie sollte das verstehen.»
Ich nahm mir diese Worte zu Herzen und suchte noch am selben Abend das Gespräch mit meiner Tochter. Ich erklärte ihr, was für ein Privileg es ist, von zuhause aus arbeiten zu können, und dass sie mich so viel mehr sehen kann als früher. Ich denke, hoffe!, dass sie mich versteht. Das Home-office ermöglicht mir schliesslich auch, spontan mit meinen Kindern ins Freibad gehen zu können.
Meine Schwägerin hat mir zum Geburtstag einen Spruch herausgesucht, der so sehr auf mich passt, dass ich ihn hier wiedergeben möchte. Er stammt von François-René de Chateaubriand (1768-1848):
Ein Meister der Lebenskunst trennt nicht Arbeit und Spass, Arbeit und Freizeit, Körper und Geist, Ausbildung und Erholung. Er vermag beides kaum zu unterscheiden. Er verfolgt einfach bei allem, was er tut, seine Vorstellung von Vortrefflichkeit und überlässt es anderen, zu beurteilen, ob er arbeitet oder sich vergnügt. In seinen Augen tut er immer beides.
Und so sagte ich meinen Kindern, als sie heute ins Bett gingen, ohne Gewissensbisse: «Gute Nacht meine Schätze, ich arbeite jetzt noch ein bisschen.» Dafür haben wir bis vorhin gerade noch gepuzzelt, gemalt, gesungen und gespielt.
Was für ein tolles Zitat, das muss ich mir merken! So wahre Worte! Ich kenn das mit dem schlechten Gewissen. „IMMER musst du arbeiten, Mama“… andererseits: „Ja, und IMMER fahren wir in den Ferien in den Urlaub, großes F“. Deine Freundin hat absolut recht!
Der Text kommt heute wie gerufen. Ich hatte heute auch so ein schlechtes Gewissen, da ich heute den ganzen Tag tatsächlich darauf gewartet habe, bis die Kleine endlich schläft, damit ich meine dringende Arbeit (auch selbständig im Home-Office) machen kann.