Geschwisterkrieg

Meine Kinder hassen sich nicht. Geschwisterkrieg gibt es doch nicht, oder? Aber was da gerade bei uns vorgeht, lässt mich den Kopf in Resignation schütteln. Und ich weiss wieder mal nicht weiter.

Entgegen jeder Logik schmeisst bei uns der kleine Bruder die grosse Schwester (und eben nicht umgekehrt) regelmässig aus seinem Zimmer raus. Er möchte gerne alleine spielen. Dann sitzt er zufrieden in seinem Zimmer am Tisch, malt und hört Kasperli-CDs. Es ist eine Wonne. Aber wehe, LadyGaga öffnet seine Zimmertür, weil sie mit Copperfield spielen will: Dann schreit letzterer wie ein Berserker. Sie nimmt den Fedehandschuh jeweils noch so gerne an und provoziert ihren kleinen Bruder munter weiter. Anstatt zu gehen, insistiert sie. Sie bezieht es auf sich. Und sie will so gerne mit ihm spielen – was ja an und für sich schön ist. Also insistiert sie weiter, und er wirft sie wieder und wieder brüllend raus. So lange, bis am Ende ich ausflippe, weil der Lärmpegel so laut ist, dass es mir die Zehennägel nach hinten dreht. Oder ich sage, dass sie bitte respektieren soll, wenn er alleine sein will. BÄM, bin ich wieder die böse Mutter, die den kleinen Sohn viel lieber mag als die blöde Tochter.

Sie ist verletzt, weil er gerne alleine spielt. Also provoziert sie. Wenn sie provoziert, dann schreit er. Dann dreht es mir wieder die Zehennägel um. Also sage ich, sie soll nicht provozieren. BÄM, bin ich wieder die böse Mutter, die den kleinen Sohn viel lieber mag als die blöde Tochter.

LadyGaga kriegt Taschengeld, Copperfield nicht. LadyGaga muss mehr im Haushalt helfen als Copperfield. BÄM, bin ich wieder die böse Mutter, die den kleinen Sohn viel lieber mag als die blöde Tochter.

Bei einem Brettspiel helfe ich Copperfield. Er gewinnt am Ende, LadyGaga nicht. BÄM, bin ich wieder die böse Mutter, die den kleinen Sohn viel lieber mag als die blöde Tochter. Dass ich bei einem anderen Spiel ihr helfe, ist völlig irrelevant.

Ich helfe LadyGaga bei den Hausaufgaben. BÄM, bin ich wieder die böse Mutter, weil ich doch viel lieber bei Copperfield wäre. WTF?!

 

Mütterliche Ohnmacht

Heute Morgen. LadyGaga weint und weint und weint und schreit. Weil ich sie immer schlechter behandle als Copperfield. Immer. Wir hatten vorhin gerade noch friedlich Matheaufgaben zusammen gelöst, die ich für sie erfunden hatte, da sie heute einen Mathetest haben würde. Und plötzlich komplette Eskalation. Früher hatten wir das Sockendrama. Heute dreht es sich nur noch darum: Keiner mag sie. ICH mag sie nicht. Dabei überschütte ich sie mit Liebe, mit exklusiver Mama-Zeit, und es ist trotzdem nie genug. Sie hat Freundinnen. Sie hat eine sie liebende Familie. Sie hat eigentlich alles. Ich höre ihr zu. Sie sagt selber: «Wenn ich mit Dir rede, hilft mir das. Über ein Problem zu reden, hilft mir.» Sie ist sehr differenziert und eigentlich sehr weit für ihr Alter, finde ich. Die Metaebene kann sie ganz gut. Gleichzeitig aber ist es gerade sehr anstrengend, ihren Bedürfnissen gerecht zu werden. Manchmal fühle ich mich terrorisiert. Oder ist das nur ein anderes Wort für ohnmächtig? Heute hat sie ihren Bruder wütend so laut angebrüllt, dass er geweint hat. Und mir brach still das Herz dabei. Still, weil ich Deeskalation wollte und meine Einmischung sie noch mehr darin bestätigt hätte, dass alle gegen sie sind. Also sagte ich – nichts. Ein Fehler meinem Sohn gegenüber? Eltern sein ist definitiv nicht easy.

Ich bin da, ich höre zu, immer und immer wieder bin ich da. Aber meine Nerven sind nicht aus Stahl, ich flippe auch immer wieder mal aus – so auch heute Morgen, als ich in meiner Ohnmacht und Resignation über das bockende Kind wütend die Tür zwischen uns zuknallte. Test nicht bestanden. Ihr wisst, Rabenmutter und so.

Ich war nach dem Morgen so fertig, dass ich danach eine Stunde nur stumpf im Netz rumsurfen konnte, anstatt zu arbeiten. Beim Mittagessen (Copperfield war in der Kita) habe ich dann nochmals das Gespräch mit LadyGaga gesucht. Ich habe ihr erklärt, dass ich beide meine Kinder gleich liebhabe, aber nicht gleich behandeln kann. Dass sie nunmal fast fünf Jahre älter ist als ihr Bruder und ich von ihr einfach mehr erwarte als von ihm. Schliesslich kriegt er auch kein Taschengeld. Und dass es mir am Morgen konkret darum ging, dass wir respektieren, wenn ihr Bruder etwas nicht will, auch wenn das für sie nicht so toll ist. Das Gespräch war gut, aber sicher nicht das letzte. Problem NOT solved.

Geschwisterkrieg – gibt es Tipps?

Ich habe mir fest vorgenommen, mich noch weniger in die Streitereien einzumischen. Wenn aber jemand von euch einen Tipp für mich hat, wie Geschwisterkrieg und Eifersucht vermieden werden können, dann gern her damit.

Aber man muss ja alles positiv sehen. Immerhin haben wir kein Sockendrama mehr. Und gehauen wird zum Glück auch nicht.

Worldpeace und so.

19 thoughts on “Geschwisterkrieg

  1. Gerade heute habe ich auch über die Streitigkeiten meiner beiden gebloggt. Nur, dass sie erst 2 und 4 sind. Und jetzt ist mir gerade bewusst geworden, was ich ständig versuche zu verdrängen: Es wird nicht besser, wenn sie älter werden, sondern vermutlich nur noch schlimmer. ?

    Also, wenn irgendjemand Dir die perfekte Lösung für all das mitteilt: Bitte sag mir Bescheid! ?

    Durchhalten!

    Liebe Grüße
    Nadine

      1. Ich bin jedenfalls froh, dass ich damit nicht alleine bin. ? Macht es aber auch nicht wirklich leichter. Wir müssen einfach noch ein paar Tage…äh…Jahre durchhalten. Bis sie ausgezogen sind. Und dann vermissen wir das Gezanke womöglich noch. ?

  2. Ich trau es mich gar nicht zu sagen, aber ich bin dankbar, dass du darüber schreibst. Ich denke so oft, dass ich die schlechteste Mutter bin, die es gibt, weil mich die Streitereien und Provokationen zwischen meinen Kindern (von denen mit uns Eltern ganz zu schweigen) dermaßen nerven, dass ich zum einen ebenfalls ausraste (mag manchmal gar nicht unsere Nachbarn treffen – was die wohl denken!) und mich oft frage, ob dieses Maß an Streitereien und Provokationen noch normal ist. Ich sag immer: 3 Kinder sind nicht 3 Mal so anstrengend wie eins, sondern potenziert mit 3 (weil eben nicht nur die Konflikte mit den Eltern dazukommen, sondern auch die unter den Geschwistern – je mehr Geschwister desto mehr Möglichkeiten zum Streiten).

    1. Liebe Janine, ich habe zuerst auch gezögert, darüber zu schreiben, weil es verwundbar macht ;-). Ich frage mich oft: Liegt es an mir, bin ich wirklich ungerecht? Die Nerven liegen manchmal echt brach. Als ich die Türe zuknallte heute, hörte ich dahinter meine Tochter weinen. Dabei war mir selbst zum Weinen zumute. Was bin ich für eine grässliche Mutter! Ich habe mich schlecht gefühlt. Auf der anderen Seite kann es ja auch nicht sein, dass ich immer alles schlucken muss, was mir meine Tochter an Wut an den Kopf wirft. Interessanterweise hat es ja auch überhaupt keinen Effekt, wenn ich mit Engelszungen mit ihr rede. Nur wenn ich ausraste so wie heute (seufz) und zeige „Stopp, hier ist jetzt echt die Grenze“, passiert etwas. Aber das denke ich im Moment selber natürlich nicht. Das ist nur retrospektiv erkannt XP
      Witzigerweise können meine zwei Kids auch ganz wunderbar zusammen spielen. Aber momentan ist hier tagtäglich echt die Hölle los. Ich drück Dich!
      LG
      Séverine

  3. Hallo liebe Séverine,

    Ja, die lieben Kleinen bringen uns manchmal echt zur Verzweiflung und an unsere Grenzen. ?
    Aber ich finde du hast es schon richtig gemacht. Du hast das Gespräch mit LadyGaga gesucht und ihr versucht zu erklären, warum eventuell ein Unterschied (aus ihrer Sicht) zwischen den Geschwistern gemacht wird/wurde.
    Und ich muss auf einen Blogpost von dir aus’m August verweisen. Diesen fand ich aufgrund deiner besonnenen Reaktion so toll. -> Zitat: „Also sage ich das einzig richtige (hoffe ich): «Ich weiss nicht, warum ihr streitet und ich will es eigentlich auch gar nicht wissen. Es ist mir egal, wer angefangen hat und wer an was schuld ist. Ihr habt vermutlich beide nicht so toll reagiert. Wenn ihr euch nicht vertragt, dann trenne ich euch und jeder geht in sein Zimmer. Dann könnt ihr alleine spielen und euch wieder beruhigen.“
    Du hast keinen Schuldigen gesucht, keinen bevorzugt und Ihnen die Selbständige Auflösung ihres Problems/Streits überlassen. Vielleicht hilft es in einer solchen Situation tatsächlich die Kinder einfach machen zu lassen. ☺️ Du kannst Ihnen sagen, dass dir das Schreien oder Hauen nicht gefällt, aber letztlich glaube ich, dass sie es selber lösen können / werden.
    Du wünscht dir sicher eine „Musterlösung“, die man in so Situationen anwenden kann. Aber leider wird es diese nicht geben. ☺️ Fühle dich trotzdem gedrückt ((())). Jede Mama kennt so Erlebnisse, die uns unsere Grenzen zeigen und uns ratlos zurücklassen.

    Grüssle

    1. Wie lustig :-)! Manchmal sage ich ja echt intelligente Dinge, haha ;-)) Danke, dass Du mich daran erinnert hast, das hatte ich total vergessen. Werde also meinen eigenen Rat beherzigen und sie wieder öfter trennen, damit die Köpfe durchlüften können. <3

  4. Ja sowas kommt mir sehr bekannt vor, nicht nur von meinen eigenen Kindern, sondern auch aus meiner Kindheit. Ich bin eine kleine Schwester & kleine Geschwister können so kompliziert sein. Vor der Geburt wird einem erzählt wie toll es ist ein Geschwisterkind zu werden & dann bekommt man so einen kleinen Egoisten. (Gefühl egoist, denn wir kleinen müssen doch erstmal alles lernen.) Ständig nörgeln wir kleinen, wollen dann sofort mit dem Großen spielen & im nächsten Moment nicht mehr, kuscheln lieber mit den Eltern als mit dem Großen & vor allem die Großen dürfen alles & am meisten Rücksicht auf uns kleine nehmen. Ist doch klar das man sowas als kleines Kind gerne ausnutzt, wir sind ja nicht auf dem Kopf gefallen. Auch weil man uns weniger zutraut, schließlich sind wir das Nestkindchen.
    Ja Dinge die ich dank Gespräche mit meiner Großen Schwester schnell verstanden habe, die Geschwister sollen streiten & man geht erst dazwischen wenn es droht Blut zu fließen, wenn die Kinder petzen kommen ihnen sagen das es egal ist, denn streit sollen sie allein führen, dass kleinere Kind nicht immer im Schutz nehmen, denn es muß auch lernen auszuhalten & Rücksicht nehmen (Bei uns ist z.B. auch Thema das der kleine keine Lust hat mit der Großen zu spielen. Doch wenn wir beschäftigt sind oder uns nicht fühlen, fragen wir die Großen ob sie sich mal um das kleine kümmern können auch wenn sie keine Lust haben. Also warum sowas nicht vom kleinen auch mal erwarten/verlangen?), immer wieder sich daran erinnern wie alt das kleine Kind ist & es nicht als „kleines“ behandeln. (Also altersgerecht behandeln.)
    Streit gibt es trotzdem immer mal wieder & wird es sicher auch immer geben, aber die Kinder werden bald lernen das sie einen viel größeren Feind haben gegen die sie sich immer, wirklich immer verbünden werden, nämlich uns bösen & ungerechten Eltern. & solange sie es tun hat man alles Richtig gemacht. 😉

    Lg Nicky

    1. Liebe Nicky, ich freue mich so, dass Du wieder einmal bei mir kommentierst <3! Stimmt, wir sollten den Kleinen nicht immer als „den Kleinen“ behandeln. Dieses Nesthäkchen-Beschützersyndrom ist einfach omnipräsent und eigentlich unnötig bzw kontraproduktiv in vielen Dingen. Das werde ich jetzt vermehrt beachten. Danke dafür! LG Séverine

  5. Hier ist es genauso. Aber ich glaube Geschwister müssen sich aneinander reiben.
    Hier können sie Beziehungen im geschützen Rahmen austesten. Wie weit kann ich gehen? Wann sind die Grenzen überschritten.
    So lange sie „draußen“ zusammenhalten und sich immer dem Rückhalt ihrer Familie bewußt sind ist alles gut.
    Ja, es ist scheiß anstrengend das als Mutter auszuhalten. Ich versuche mich (so lange es keine schlimmen Verletzten gibt) aus den Streitigkeiten herauszuhalten. Denn am Ende bin ich die Dumme, wie Du ja auch so schön beschreibst. Hast Du Schallschutzkopfhörer? Setz die auf, wenn es Dich zu sehr nervt 😉
    LG Suse

    1. Liebe Suse, ich kenne Dich und Deine Kinder ja persönlich, und ganz ehrlich: Ich kenne niemanden, der so toll (echt!) Streit bei den Kindern schlichtet, wie Du. Du sagst jetzt sicher: „Vorführeffekt! Stimmt nicht! Bei uns klappt nix!“ Aber: Du machst das echt toll und ich habe mir viel bei Dir abgeguckt. Was ich bei Dir nämlich sah: Du hast Dich nicht eingemischt, keine Partei ergriffen, aber den Kindern den Spiegel vorgehalten und die Grenzen aufgezeigt. Und ich dachte: So klar wie Suse möchte ich auch handeln! Vielleicht ist Dein Geheimtipp ja echt der Schallschutzkopfhörer???? XP Aber ich weiss – Innen- und Aussenperspektive… 😉
      LG Séverine

  6. Liebe Séverine
    wo sollte ich anfangen! Geschwister und Streitereien sind wohl allen Eltern bekannt. Doch Neid vielleicht weniger. Aufgefallen in deinem Beitrag ist, dass deine Tochter sich von dir anscheinend zu wenig „geliebt“ fühlt. Das kommt mir bekannt vor. Ich musste viel lernen um das aus dem Kopf meines Erstgeborenen zu verbannen. Wie ich das tat? Es „eskalierte“ erst in der Pubertät. Wir holten uns Hilfe. Ob es die war oder die Zeit, die uns darüber hinweg half, wissen wir nicht. Auf jeden Fall haben wir es schon lange nicht mehr hören müssen, dass wir ihn gar nicht lieben, etc. (was ja nicht stimmt). Meine Lektion war, dass es in der ganzen Sache gar nicht wichtig ist, was ich fühle oder denke, sondern wie er es gefühlt und ausgedrückt hat. Bei kleinen (eigentlich selbstverständlichen) Dingen fing ich an ihn zu loben. Zum Beispiel, „wie schön hast du dich heute angezogen.“, „ich finde es toll, dass du immer rechtzeitig aufstehst“, „deine Kreativität (die einem auch zum Verzweifeln bringen kann) ist inspirierend“, etc. Dinge, die mir durch denk Kopf gingen, nicht Theater. Immer mehr Aufmerksamkeit auf kleine Details und wir kamen uns vor, als ginge es nur noch um ihn eine kurze Zeit. Doch irgendwie hat das heilend gewirkt! Sein Gefühl vom „nicht geliebt werden“ hat sich gelegt. Das Manko entstand glaube ich durch die Pubertät und die körperliche „Ablösung“ von mir. Er wollte keine Streicheleinheiten mehr, nicht mehr auf dem Schoss sitzen, etc. Doch irgendwie hat ihm das wohl dann immer mehr gefehlt.
    Ein weiterer Tipp von mir ist, viel über die vergangenen Zeiten reden. Zum Beispiel, erzählen was und wie deine Tochter als kleines Mädchen erlebt hat. Sie sie die Welt gesehen hat, etc. Kleinere Anekdoten sind da immer gut. Meistens tut das gut für die Seele. Zeigt Liebe, etc.

    Ich habe auch ein Kind, das seit klein viel alleine spielen möchte. Es ist bei mir K3 und sie akzeptiert oft keine Geschwister zum Mitspielen. Das ist oft verletzend für die anderen, aber ich versuche das Spiel etwas anzuleiten, wenn es nicht anders geht. Z.B.: jetzt spielen beide für xy Minuten alleine und nachher zeigt die eine der anderen, was sie gebaut hat. Oder ich biete die beiden auf zusammen zum Backen oder ein Gesellschaftsspiel oder zusammen Hörspiel hören oder so. Dann glätten sich die Wogen.

    Wenn es wiedermal akut ist, dann entferne dich von den zweien (der Kopfhörer ist vielleicht nicht schlecht), trenne die beiden oder schlage eine gemeinsame Aktivität vor (einem der beiden, wenn du noch in der Lage bist dazu). So schlage ich manchmal vor, „weisst du, wenn dein Bruder nicht mit dir spielen möchte, so komme vielleicht mit mir in die Waschküche, ich hätte Lust mit dir zusammen zu sein! Du kannst ja dein Buch/Lego mitnehmen und nebenbei lesen/spielen“. Oft kommt K2 dann mit mir mit, manchmal verzieht sie sich dann doch alleine in ihr Zimmer.

    Aktzeptiere einfach, dass es eine Phase sein kann, die du manchmal zeitlich nicht gross beeinflussen kannst.
    Übrigens, von Geschwistern lernt man nicht teilen, sondern verhandeln!

    In Liebe,
    Muriel

    1. Liebe Muriel, das sind ganz wunderbare Tipps, ich danke Dir sehr! Du hast mich zum Nachdenken gebracht, und ich habe heute das Gespräch mit meinem Sohn gesucht und ihm gesagt, wie traurig es mich macht, wenn er seine Schwester so anbrüllt und dass das sehr verletztend ist. ich habe zum ersten Mal eigentlich auf Augenhöhe mit ihm gesprochen. Er ist doch immer „der Kleine“! Aber das stimmt eben nicht.
      Und meine Tochter werde ich wieder vermehrt auch im Kleinen loben. DANKE!!!!
      LG
      Séverine

  7. Liebe Sevérine,

    erstmal ist es ja wirklich wundervoll, wie gut ihr es als Eltern geschafft habt, dass Lady Gaga ihren Bruder so liebt, dass sie andauernd bei ihm sein und mit ihm spielen will. Ihre Bindung zu ihm ist stark! Das ist nicht selbstverständlich. Viele Erstgeborene sind von der Anwesenheit der Kleinen genervt und wollen am liebsten nicht von ihnen gestört werden – aber dieses Problem habt ihr nicht. Dafür könnt ihr euch ruhig mal auf die Schulter klopfen.

    Nun ist es so, dass Copperfield gern allein spielt und das auch so kommuniziert, wenn Lady Gaga reinkommt. Daran ist auch nichts Schlechtes – dass er seine Schwester liebt und anhimmelt kann man bei dir in anderen Artikeln nachlesen. Er ist also ebenso gut an sie gebunden. Er mag nur anders spielen, als sie. Das ist der Unterschied: Sie
    mag mit jemandem zusammen spielen, er mag es lieber, allein zu spielen. Und an der Stelle gibt es Konfliktpotential, denn, wie du schon selbst erkannt hast, fühlt sich Lady Gaga persönlich angegriffen, wenn er Nein zu ihrem Spielwunsch sagt. Deine Aufgabe als Mutter ist es nun, ihr klar zu machen, dass er sie in solchen Momenten nicht ablehnt, weil er sie nicht liebt, sondern weil er ein anderer Spieltyp ist. Es hat gar nichts mit ihr persönlich zu tun. Er würde auch jeden anderen ablehnen in dem Moment. Er hat das Bedürfnis nach Ruhe, ganz einfach.

    Nun passiert vermutlich Folgendes in diesen Momenten. Lady Gaga fühlt sich ungeliebt von ihrem Bruder und merkt einen Stich im
    Herz, der ihr weh tut und diesen Schmerz möchte sie gern loswerden, weil er natürlich unangenehm ist. Die allermeisten Menschen nutzen dafür eine schlechte Strategie, nämlich, dem anderen dann zurück weh zu tun. Das macht sie auch – sie ärgert ihn und freut sich dann, wenn er schreit und weint. Dummerweise hilft das nicht wirklich bei ihrem eigenen Schmerz – die Schadenfreude, dass er nun weint, übertüncht nur sehr oberflächlich die Trauer darüber, von ihm abgelehnt worden zu sein. Sie macht sich durch diese Strategie also eigentlich nicht wieder selbst glücklich, sondern behält das schreckliche Gefühl, und ein anderer Mensch (ihr Bruder) fühlt sich nun auch schrecklich. Diesen Zusammenhang kann sie selbst noch nicht durchschauen – das können ja manche Erwachsenen noch nicht. Wie gesagt, die allermeisten Menschen hauen irgendwie zurück, wenn sie verletzt werden. Es ist aber wichtig, zu erkennen, dass diese Strategie nicht zielführend ist, damit sie eine bessere Reaktion auf sein Nein erlernen kann: ‚Oh wie schade. Mir ist so langweilig, wenn du lieber allein mit deinen Autos spielen willst. Sagst du mir Bescheid, wenn du nachher Lust auf gemeinsames Spielen hast?‘ wäre zum Beispiel eine grandiose Antwort. Und dein Job ist es (tut mir leid, das ist echt wichtig), sie dann in solchen Momenten aufzufangen, immerhin wurde ihr Ego gerade angekratzt, und vorzuschlagen: ‚Copperfield mag gerade allein spielen, aber weißt du was, ICH hätte dolle Lust, mit dir jetzt was zusammen zu machen. Soll ich dir was vorlesen? Oder wollen wir mit deinen Puppen spielen?‘ Damit schlägst du zwei Fliegen mit einer Klappe. Du verhinderst, dass sie Copperfield provoziert (denn wenn er mit ihr streitet, ist das ja auch so eine Art gemeinsames Spiel, sie bekommt also durchs Provozieren eigentlich, was sie vorher wollte, deshalb macht sie es auch so gern!) UND sie fühlt sich von dir gesehen und bekommt Exklusivzeit. Das muss gar nicht sooooo lange sein. Nach ein paar Minuten kannst du dann sagen, dass du nun wieder arbeiten musst, aber das es schön war, mit ihr diese kleine Pause zu verbringen. Sie dürfte dann auch nicht mehr so sehr denken, dass du Copperfield bevorzugst.

    Zu diesem Bevorzugungs-Dings habe ich auch noch Anmerkungen. Bei uns in der Familie ist die wichtigste Regel, dass wir die Grenzen eines anderen beachten. Also wenn Copperfield Nein zum gemeinsamen Spiel sagt, dann ist das zwar schade, aber eine Grenze, die unbedingt beachtet werden muss. Anders herum muss Copperfield aber auch die Grenzen von Lady Gaga beachten, auch, wenn er noch kleiner ist. Ich gebe dir mal ein Beispiel. Mein K3 ist 3,5 und K2 ist 7. K2 wollte letztens abends in der Wanne baden. K3 kam ins Bad und wollte mit dem Strohhalm im Badewasswe blubbern (von draußen). Eigentlich war genug Platz und er störte sie auch nicht wirklich bei ihrem Spiel mit ihren Meerjungfrauen, aber sie sagte trotzdem, dass er nicht blubbern dürfe. Ich stand daneben und dachte ‚Mann, das ist doch nur eine Kleinigkeit, das könnte sie ihm doch echt erlauben. Er stört sie doch gar nicht und man merkt ihm an, dass es gerade sein Herzenswunsch ist, zu blubbern.‘ Eigentlich hatte ich das auch schon auf den Lippen, aber ich hielt mich zurück. K3 hörte nicht auf seine Schwester und blubberte weiter mit dem Strohhalm im Badewasser. K2 sagte noch zweimal laut Stopp und es war klar, gleich gibt es hier großen Streit. Ich hatte das Bedürfnis nach Ruhe und wollte nicht, dass sie sich streiten und außerdem dachte ich, wie gesagt, dass sie echt mal nachgeben könnte. Sie ist doch viel älter und weiser als sie und überhaupt, der Klügere gibt nach, nicht? Aber all das sagte ich nicht. Denn sie hatte klar ihre Grenze formuliert und er hatte sie nicht eingehalten. Mein Job war es also, ihre Grenze zu verteidigen (ich will schließlich nicht, dass sie lernt, ihr Nein oder Stopp kann einfach so von anderen übergangen werden). Ich beugte mich also zu K3 runter und bat ihn, aufzuhören, weil K2 das nicht wolle. Er war schon müde und dementsprechend bockig und nicht gewillt, aufzuhören. Ich wusste, wenn ich seinen Strohhalm anfasse, wird er tierisch ausrasten, egal, wie zärtlich und vorsichtig ich es angehe. Doch es war wichtig, denn auch mit 3,5 kann ein Kind lernen, die Grenzen eines anderen zu beachten. Also schob ich ihn sehr vorsichtig von der Badewanne weg und sagte dabei immer wieder leise, K2 habe Stopp gesagt und das müssten wir akzeptieren. Natürlich ging gleich die Sirene los und er tobte und weinte im Bad. Ich blieb bei ihm und tröstete, soweit er das zuließ (er war ja sauer mit mir). Das dauerte bestimmt 15 Minuten. Es war laut im Bad und für K2 bestimmt nicht angenehm, andererseits war es m.E. gut, dass sie auch mitbekam, welche Trauer ihre Entscheidung bei ihrem Bruder ausgelöst hatte. Das ist ja etwas, das Kinder zwischen 5 und 10 lernen sollten – wie ihre Entscheidungen, ihr Tun und ihre Worte auf andere wirken. Nach 15 Minuten Weinen wollte K3 im Bett mit mir kuscheln, also ging ich mit ihm dorthin. Nach nochmal 10 Minuten hatte er sich richtig beruhigt und fragte, ob er denn JETZT mit dem Strohhalm blubbern dürfe. Ich sagte ihm, dass müsse er K2 fragen, die ja noch badete. Er rannte los und fragte sie. Da sie eh gerade aus der Wanne raus wollte, erlaubte sie ihm das natürlich und alle waren happy. Sie hatte Grenzen aufzeigen dürfen, er hatte gelernt, Grenzen zu akzeptieren und am Ende hatte es sich gelohnt, noch einmal zu fragen, da er dann doch seinen Wunsch erfüllt bekam.

    Was ich mit dieser Geschichte erzählen will, ist nun das – kann es sein, dass Lady Gaga auf deinen Wunsch hin öfter mal nachgeben muss, weil sie ‚die Große‘ ist und ja ‚vernünftiger‘ und auch ‚mehr Rechte‘ hätte etc.? Ich will nicht sagen, dass das gänzlich falsch ist, das so zu tun, denn tatsächlich müssen ältere Kinder Rücksicht auf Kleinere nehmen. Aber es gibt eben auch Situationen, in denen sie eigentlich ihre Grenzen aufzeigen dürfen sollten, auch wenn das mehr Arbeit (weil Wutanfall beim Kleinen) für den Erwachsenen bedeutet. Ich denke sehr sehr oft in Richtung meiner großen Kinder: ‚Bitte gib nach, damit K3 jetzt nicht quengelt oder wütet!‘, aber ich spreche es nie aus, weil es unfair den Großen gegenüber ist. Es ist nicht ihr Job, andauernd nachzugeben des lieben Frieden willens und sie sollten auch nicht eingeredet bekommen, sie hätten etwas Falsch gemacht, wenn sie auf ihren Grenze bestanden haben und ihr Geschwisterchen deswegen weint. Wir sollten sie deswegen nicht anmotzen, denn es ist ja mega, mega wichtig, dass unsere Kinder lernen, dass sie zu allen Handlungen eines anderen Nein sagen dürfen, die ihnen – aus welchem Grund auch immer – unangenehm sind.

    Liebe Grüße, Snowqueen

    P.S. Ich habe häusliches Mithelfen nicht mit Taschengeld verbunden, aber ich wollte dir erzählen, dass unser 3,5 Jähriger beim Ausräumen des Geschirrspülers hilft, beim Wäscheaufhängen und beim Saubermachen des Meerschweinkäfigs.

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