Beim Aufräumen habe ich sie gefunden: die Rundtelefonliste der Gymnasialklasse 4DE, Abschluss 1996. Ganze 23 Jahre ist mein Gymi-Abschluss nun her. In den ganzen Jahren hat es seither folgende Anzahl von Klassentreffen gegeben: NULL.
Dabei war es eine gute Klasse, sehr heterogen, so dass jeder Freunde oder Freundinnen haben konnte. Wir mochten uns alle manchmal mehr oder manchmal weniger und hatten tolle gemeinsame, intensive vier Jahre. Nur nimmt es niemand von uns in die Hand, mit der alten Truppe eine 90er-Jahre-Revival-Party anzusetzen.
Aus der Klasse wurden einige Ärzte. Manchmal frage ich mich, warum ich beruflich nie mit ihnen zu tun habe. Mein ehemals bester Freund ist nach Hongkong ausgewandert und arbeitet dort als hohes Tier in der Finanzbranche. Eine Schulkameradin lebt in Amerika. Einer ist beim Zirkus. Ein paar Kontakte habe ich noch via Facebook oder Linkedin, wo wir uns gegenseitig folgen bzw. vernetzt sind.
In mir drin finde ich immer wieder mal den Wunsch, meine alten Klassenkameraden wiederzusehen. So als stünde ich vor der Pensionierung. Oder vor der Himmelspforte. Was ist aus der Klassenstreberin geworden? Was aus dem Klassenclown? (Eben nicht der Clown!!) Leben überhaupt noch alle? Wie ist es ihnen ergangen?
Und die Frage aller Fragen: Bin ich geworden, was ich hätte werden sollen?
Ich wollte Schriftstellerin werden, und eine berühmte noch dazu. Deutsch war mein Leistungsfach, und mir wurde eine Schriftstellerkarriere vorhergesagt. Naja zumindest wurde ich von den Lehrern ermutigt, diesen Weg weiterzugehen. Ich war so, so, so überzeugt, dass ich es schaffen würde. Dieser jugendliche Zauber der Überlegenheit war mir inne.
Geschichte habe ich aus Interesse studiert, Germanistik aus Liebe zur Sprache. Ich wollte schreiben, und einen Lyrik-Band habe ich tatsächlich publiziert. Ich machte bei allen möglichen Schreibwettbewerben mit, schickte Manuskripte und Exzerpte ein. Allein – es reichte nicht. Mit dem Schreiben konnte ich meine Lebenskosten nicht decken. Also wollte ich wenigstens ins Verlagswesen.
23 Jahre später bin ich Teilhaberin in einem kleinen aber feinen Verlag. Ich stehe meine Frau. Mein Schreiben hat sich aufs Bloggen verschoben, neben dem beruflichen Schreiben von Editorials, Interviews und Kongressen. Hätten meine Schulkameraden und Lehrer das damals vorhersehen können? War mein Werdegang schon in mir festgelegt? Oder hat mich erst die Erfahrung zu dem gemacht, was ich heute bin? All die Enttäuschungen und Überraschungen im Leben, waren die für etwas gut? Kann ich stolz sein auf mich? Ich fühle mich nämlich in manchen Momenten sehr klein. So, wie man sich auch mit Ü40 nur mit Mühe als erwachsen ansieht.
Wenn ich die Augen schliesse, höre ich deutlich die Stimmen meiner alten Freunde. «Hey Séve!» Hach, eigentlich möchte ich einfach gerne einen Abend mit alten Freunden in der Vergangenheit schwelgen, als uns alle Türen im Leben noch offen standen.
Ja, ich überlege mir, das Klassentreffen in die Hand zu nehmen (ich hab ja sonst so wenig zu tun…). Habt ihr selber schon Klassentreffen erlebt oder sogar organisiert und habt Tipps für mich? Oder sollte ich es lieber sein lassen?