Meine Stress-Auszeit im Kloster

Ich. War. Im. Kloster. Ja, ihr habt richtig gelesen. Ein ganzes Wochenende lang war ich im Kloster Mariastein. Natürlich nicht letztes Wochenende, denn da war Swiss Blog Family Kongress, aber das Wochenende davor, quasi zur Vorbereitung.

Ich hatte schon letztes Jahr diese Idee, weil eine Freundin mich darauf aufmerksam gemacht hatte. Drei Tage im Kloster verbringen, ohne Stress, ohne Termine. Eine andere Freundin von mir ging vor ein paar Jahren ins Kloster, um die Stille zu suchen, die Ruhe, die Ausgewogenheit. Sie hatte das damals allein getan. Mittlerweile gibt es aber einen regelrechten Markt für Stress-Auszeit-Programme im Kloster. Das Kundenbedürfnis ist da, wen wundert’s. Ich dachte ja an gestresste Manager, die sich im Kloster treffen. Leute wie ich halt. Aber es war alles ganz anders.

Das Programm

Ich habe im Vorfeld im Internet recherchiert und bin dann auf die Webseite Stress-Auszeit.ch [unbezahlte Werbung] von Stefan Geisse gestossen, der unter anderem solche Anti-Stress-Retreats in Klostern in der ganzen Schweiz anbietet. Mir ist sofort die Location Mariastein ins Auge gefallen, denn dort, in der Klosterkirche, habe ich vor elf Jahren meinen Mann geheiratet. Als Kind bin ich regelmässig mit meiner Familie an diesen Wallfahrtsort gefahren, der nur 20 Minuten von Basel entfernt liegt. Ich fand das irgendwie stimmig für eine Auszeit. Der Kurs bei Stefan kostet Fr. 289.–, dazu kommt noch die Übernachtung im Kloster für Fr. 190.– für zwei Nächte im Einzelzimmer inkl. Vollpension. Ich finde den Preis okay, auch im Nachhinein.

Der erste Tag

In den Kurs-Unterlagen hiess es, man solle Freitag bis spätestens 16:00 Uhr vor Ort sein, um an der Klosterpforte seine Zimmerschlüssel abzuholen. Wie es als Workaholic ist – ich war viel zu spät dran. Total gestresst (!) erreichte ich um 16.05 Uhr das Klosterparking. Ich war so wütend auf mich selbst, dass ich das Anti-Stress-Programm schon von Anfang an versaute. Aber es lief trotzdem alles gut, ich konnte den Schlüssel in Empfang nehmen und gelangte zum Nebengebäude des Klosters, dem Gästehaus, wo ich mein spartanisch eingerichtetes Zimmer (Mobiliar geschätzte 70 Jahre alt) beziehen konnte.

Bereits um 16.30 Uhr trafen wir uns als Gruppe zum Meet and Greet, danach fand das Abendessen im Kloster statt. Wir waren 18 Teilnehmer, davon drei Männer. Es hatte viele Frauen um die 30 dort sowie einige um die 50. Ich war irgendwo dazwischen. Später am Abend trafen wir uns zu einer Entspannungsübung aus dem Yoga, dem Yoga Nidra («Schlaf der Yogis»). Es ging darum, im Liegen bewusst in den Zustand zwischen Wachen und Schlafen zu gelangen. Das fand ich extrem spannend, nur leider sind einige der Workshop-Teilnehmenden dabei eingeschlafen und haben laut geschnarcht. Als nicht Yoga-Guru war es für mich extrem schwierig, mich auf mich selber und meinen Bewusstseinszustand zu konzentrieren und das Schnarchen sowie eine hinter mir brummende Fliege auszublenden. Um 22:00 Uhr fiel ich einfach nur noch todmüde ins Bett.

Der zweite Tag

Am Samstag um 7:00 Uhr in der Früh starteten wir mit Achtsamkeitsübungen, Meditation, Atem- und Körperübungen. Das Ganze dauerte 45 Minuten und war höllisch unbequem. Wir sassen auf Meditationsblöcken oder –schemeln. Die Blöcke waren vergleichbar mit einem Ziegelstein, einfach aus hartem Schaumstoff. Ich versuchte, mich auf die Atemübungen zu konzentrieren. Wir sollten unseren Atem bewusst erleben. Ich hatte Schwierigkeiten loszulassen, weil ich es einfach so verdammt unbequem auf diesem Block fand, trotz drapierter Kuscheldecke. Mein Rücken begann zu schmerzen.

Nach dem Frühstück um 8:00 Uhr fand dann ein Workshop zum Thema «Meine persönlichen Stressverstärker und Lösungen gegen Stress» statt. Mir persönlich hat das jetzt nicht so viel gebracht, da ich in Kommunikationsregeln eigentlich ganz gut bin. Ich habe ja nicht Stress wegen anderer Menschen, ich bin gestresst, weil ich einfach zu viel arbeite. Aber sicher tut es gut, sich wieder einmal mit seinem Kommunikationsverhalten zu befassen und Stressoren zu erkennen. Vergeudete Zeit war es nicht.

Das Mittagessen fand dann in Stille statt. 19 Leute sassen an einem Tisch und man hörte nur das Klappern des Bestecks auf den Tellern. Es war echt eindrücklich und auch schwierig zu bewerkstelligen, dieses Schweigen. Irgendwann empfand ich es aber als angenehm, einfach nichts sagen zu müssen. Und ich hatte auch das Gefühl, dass das Essen viel intensiver schmeckte, weil ich es bewusst wahrnahm.

Am Nachmittag gab es dann viel freie Zeit für Spaziergänge und Reflektieren. Der Coach bot in dieser Zeit auch persönliche Coaching-Gespräche an, die zusätzlich verrechnet werden (Fr. 100.– pro Stunde). Im Vorfeld hatte ich noch gedacht, dass ich mich unbedingt auch für so ein Gespräch anmelden wollte. Schliesslich ist es immer hilfreich, wenn man sich mit einem professionellen Coach austauschen kann. Es gibt einem viel Inspiration und Input. Als es dann aber so weit war, hatte ich an diesem Wochenende das Gefühl: Nein, das mache ich nicht. Nicht, weil der Coach nicht gut war (denn er war gut), aber ich kam an einen Punkt, wo ich merkte, dass ich einfach nur Ruhe haben möchte. Keine Termine, keinen Stress. Und so nutzte ich den Nachmittag, um ein bisschen spazieren zu gehen in den Wiesen.

Ich setzte mich auf eine Bank und starrte einfach in den Himmel. Mir war nicht langweilig, obwohl ich nichts tat. Ich genügte mir und sass einfach nur da und dachte nach. Nicht einmal ein Buch gelesen habe ich. Die Gedanken flossen, ohne unterbrochen zu werden von den Kindern, der Arbeit, der Welt. Viel zu schnell waren die vier freien Stunden vorbei und wir trafen uns in der Gruppe für weitere Entspannungsübungen.

Nach der Erfahrung vom Vormittag war ich etwas ambivalent eingestellt. Ich hatte kein Bedürfnis danach, wieder auf so einem Meditationsblock zu sitzen. Ich biss mich regelrecht durch die Übungen durch, spürte meinen Atem oder eben nicht und versuchte, ruhig zu sein und nicht auf den Schmerz im Rücken zu fokussieren. Schön fand ich eine Übung, bei der es darum ging, jemandem zu verzeihen und loszulassen. Ich habe regelrecht gespürt, wie mein Herz leichter wurde. Die Atemübungen sind schon gut, wenn man sich darauf einlässt.

Nach dem Abendessen hätte man sich wieder für individuelle Coaching-Gespräche anmelden können. Wir gingen stattdessen als kleinere Gruppe in ein Restaurant, tranken und lachten dort gemeinsam und tauschen uns aus. Zuerst hatte ich nicht mitgehen wollen, da eine Teilnehmerin extrem negativ dem Kurs gegenüber eingestellt gewesen war und ihren Unmut schon mehrfach zum Ausdruck gebracht hatte. Irgendwie fühlte sie sich nicht wohl mit dem Angebot. Das ärgerte mich, ich hatte das Gefühl, dass ihre negative Energie mich mit herunterzog. Ich merkte, wie ich deswegen wiederum negativ ihr gegenüber eingestellt war, ohne sie wirklich zu kennen.

Der dritte Tag

Am Sonntag um 7:00 Uhr gab es wieder Achtsamkeitsübungen, Meditation, Atem- und Körperübungen. Ich war total widerwillig, weil ich Angst vor den Schmerzen hatte und das Spüren meines Atems mir mittlerweile einfach zu ätherisch war. Das stellte ich an diesem Punkt fest. Ich merkte, dass ich innerlich blockierte. Da half es auch nichts, dass ich nicht mehr auf dem Block sass, sondern einfach im Schneidersitz auf der Decke. Der Rücken schmerzte nun sowieso. Mit dieser Erkenntnis kam eine weitere dazu: Ich war dieser anderen Teilnehmerin gegenüber negativ eingestellt gewesen, weil ihr der Kurs nicht passte. Sie war mir zu negativ. Dabei war ICH diejenige, die blockierte. Und so war es auch ich, die dann am Sonntag beim Abschluss-Meeting laut sagte, dass Yoga definitiv nichts für mich ist, der Kurs mir aber auf anderer Ebene viel gebracht hat. Bin ich jetzt die Bitch?

Erreichbarkeit

In den Unterlagen zum Programm stand, dass empfohlen wird, auf Smartphones und andere digitale Geräte zu verzichten, die einen ablenken könnten. Es ging ja darum, sich bewusst aus dem Alltag zurückzunehmen. Detox quasi, es gab aber kein Verbot per se. Ich hatte das Handy dabei, aber auf lautlos gestellt. Ich wollte im Notfall für die Familie erreichbar sein. Sehr stolz bin ich auf mich, weil ich die ganzen drei Tage meine E-Mails nicht gelesen habe, was für mich sehr schwierig war. Das klingt für euch vielleicht banal, aber ich schaue wirklich auch am Wochenende alle Geschäftsmails an und beantworte sie wo nötig. Ich habe jetzt gemerkt, dass ich so nie zur Ruhe kommen. Das werde ich in Zukunft ändern. Naja, ich werde bewusst versuchen, es zu ändern.

Einen Rückschlag gab es allerdings. Als ich in der Natur spazieren war, vibrierte mein Telefon. Ich erkannte die Nummer nicht und nahm reflexartig das Telefonat an. Es stellte sich heraus, dass es ein Marketinganruf für Krankenkassen war. Shit! Ich würgte das Gespräch ab und war sauer auf mich selbst. Aber Stefan Geisse hat in seinem Kurs mehrfach etwas ganz Tolles gesagt: «Wir sind alle Menschen und machen Fehler. Es ist okay, etwas nicht zu schaffen. Wir arbeiten einfach weiter daran. Auch ich als Coach mache immer noch Fehler und bin nicht immer tiefenentspannt.»

Das Kloster

Im Kloster zu leben, war eine sehr spezielle Erfahrung für mich. Die innere Ruhe ist unglaublich, die ein solcher Ort ausstrahlt.

Abends um 20:00 Uhr konnten wir jeweils beim Nachtgebet der Benediktiner-Pater in der Kirche dabei sein. Wir hatten den Schlüssel zur Kirche, die für die Öffentlichkeit zu dieser Zeit abgeschlossen ist. Es war ein unglaubliches Erlebnis, in der leeren, ruhigen Kirche zu sitzen und den Gesängen der Priester zuzuhören, aber auch die echte Stille auszuhalten. Ich war auch am Sonntagmittag vor der Predigt in der vollen Kirche. Dieser Ameisenhaufen an Emotionen und Geräuschen war fast unerträglich für mich, nachdem ich zwei Nächte lang die Ruhe der Kirche genossen hatte. Heftig war für mich auch, meine Hochzeit quasi nochmals zu erleben. Ich hatte an diesem Wochenende sehr viele Déjà-vus, die mich bewegt haben. Ich musste an gestorbene, geliebte Verwandte denken, die uns auf unserer Hochzeit noch begleitet hatten und heute nicht mehr sind. Ich musste an die vielen Familientreffen denken, die ich als Kind hier erlebt hatte. Ich musste an meine Ehe denken. Es war alles sehr aufwühlend, zumal ich den Pater traf, der uns 2008 vermählt und 2009 auch LadyGaga getauft hatte.

Was ich mitnehme

Diese drei Tage habe ich gefühlt nichts getan. Ich konnte einfach nur sein. Es hat so gut getan, dem Gehirn endlich wieder beim Denken zuzuhören, mitzuspüren, sich selber zu fühlen. Die Yogaübungen waren wie gesagt nichts für mich, d.h. aber nicht, dass sie schlecht waren. Mein Learning von diesem Wochenende ist: Ich muss Termine nicht wahrnehmen, einfach weil sie da sind und abgehakt werden müssen. Genauso wie ich auf den Termin beim Coach verzichtet habe, um meine freie Zeit zu geniessen, muss ich auch im Alltag nicht alle möglichen Termine reinquetschen. Ich habe mir deshalb vorgenommen, in Zukunft jeden Termin bewusst zu hinterfragen. Erstaunlicherweise hat mir das am Sonntagabend ein Mail aus LadyGagas Schule bestätigt, denn die Lehrerin war für Montag krank gemeldet und somit musste ich einen Interviewtermin am Montag platzen lassen, da meine Tochter zu Hause bleiben musste (Lehrermangel im Aargau, fragt nicht). Ein weiterer Interviewpartner meldete sich seinerseits krank, sodass auch dieser Termin für Mittwoch flach fiel – quasi in Luft aufgelöst durch meine bewusste Entscheidung für weniger Termine. Ich glaube ja schon, dass das Universum (Gott) uns hört! Mitgenommen habe ich ausserdem, dass ich meine Mitmenschen und ihre Taten weniger bewerten will.

Kann ich so ein Anti-Stress-Retreat empfehlen?

Die Antwort auf diese Frage ist ganz einfach: Unbedingt! Ich denke, dass jeder etwas anderes für sich daraus herausnehmen kann. Entgegen meiner Erwartung waren die Teilnehmer aber keine gestressten Manager. Es waren vor allem Menschen, die an einem Scheideweg stehen und nicht weiter wissen mit ihrem Leben. Und das ist voll okay! Mit Anti-Stress hat das für mich nicht viel zu tun, es war vielmehr der Wunsch nach Hilfe im Chaos des Alltags, der die Leute wohl in diesen Kurs gebracht hat. Wenn du erst mal gestresster Manager bist, gehst du wohl nicht freiwillig ins Kloster, sondern landest halt irgendwann unfreiwillig in einer Burnout-Klinik. Mir hat das Wochenende sehr viel gebracht, um wieder herunter zu fahren und bewusst wahrzunehmen, was mir wichtig in meinem Leben ist. Und die Ruhe hinter Klostermauern kann ich wirklich jedem nur empfehlen. Und sei es auch nur für drei Tage.

 

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