Vor kurzem nahm ich an einer digitalen Weiterbildung per Zoom teil. Thema war unter anderem: Führung in Corona-Zeiten – kreativ, trotz allem. Aber: Was ist Kreativität? Die erste Aufgabe bzw. deren Resultat warf mich diesbezüglich total aus der Bahn. Sie lautete: «Bilden Sie spontan einen hohen Turm aus allen Dingen, die Sie bei sich im Homeoffice finden. Zeit: 1 Minute.»
Sofort schnappte ich mir die dicksten Gegenstände, die ich in die Finger bekam. Agenda, eine Box mit Post-its, den Duden. Möglichst hoch sollte mein Turm sein, mit Dingen bestückt, die gut stapelbar waren, damit man den soliden Turm in der Kamera sehen konnte. Das alles dachte und machte ich in 60 Sekunden.
Was staunte ich aber, als ich die Resultate meiner Mitstudierenden sah. Da balancierten Zinnsoldaten auf einer Banane, die auf einer Tasse lag. Zwei stehende CD-Hüllen bildeten die Basis für eine Kleenex-Schachtel, auf der ein Kugelschreiber ruhte. Und auf dem Kugelschreiber lag ein Kaugummi. Mein Turm bestand aus – Quadern. Und dann auch noch dem Duden, als wolle ich mit dem geschriebenen Wort alle erschlagen! War das meine Kreativität «in a nutshell»? Wie peinlich!
Ziel war es gewesen, die eigene Kreativität zu veranschaulichen bzw. sie in Gang zu setzen. Offenbar ist diese bei mir äh sehr rational geprägt. Ich bin zu strukturiert und lösungsorientiert. Ein Problem ist da? Bämm, hier ist die Lösung. Ich brauche Resultate. Ich denke nicht kreativ, ich denke pragmatisch. Diese Erkenntnis war mir etwas peinlich, so in einem Kurs zu redaktioneller Kreativität *hüstel*.
Bis gerade eben.
Meine Kinder haben gerade lauthals und quasi bis aufs Blut gestritten. Der Tatbestand: LadyGaga ist wütend, weil Copperfield ohne sie an einem Lego-Pokécenter weitergebaut hat. Sie schnauzt ihn an, ihre Legobauten seien viel besser und kreativer als seine, und verlässt sein Zimmer. Er bleibt weinend zurück. Nach kurzer Rückfrage bei LadyGaga stellt sich heraus: Sie findet, dass ihr Bruder viel kreativer ist als sie. Sie baut «nur Häuser», seine Gebilde sind viel vielschichtiger. Sie sagt selbst, sie sei eifersüchtig, sie könne das nicht. Sie ist frustriert.
Was Kreativität ist? Hold my beer.
Wir gehen zusammen zum weinenden Copperfield. Ich frage ihn: «Warum weinst Du?» Er snieft: «Weil LadyGaga viel kreativer ist als ich. Ich kann keine Hochhäuser bauen so wie sie.»
In mir drin machte es PING! Das Puzzleteil, das seit dieser Zoom-Weiterbildung im luftleeren Raum herumgeschwebt hat, setzt sich an die richtige Stelle. Das! Genau das!
Ich setze mich mit den Kids zusammen und wir diskutieren zusammen, was Kreativität sein kann und darf: nämlich für jeden etwas anderes. Es gibt kein schlechter oder besser, wenn es um Kreativität geht. Hingegen können wir gemeinsam noch viel Wertvolleres erschaffen, denn zusammen, mit der unterschiedlichen Kreativität aller Beteiligter, können erst die vielschichtigsten Werke entstehen.
Die Kinder bauen nun gemeinsam an ihrem pokécenter weiter und inspirieren sich gegenseitig, ohne Neid, ohne Missgunst, aber mit viel Gekicher.
Übertragen auf das Geschäftsleben zeigt sich mir mit dieser kleinen Analogie: Kreativität bedeutet nicht, dass einer alles vormacht bzw. vordenkt und die anderen tanzen mit. Für den kreativen Prozess braucht es eben ALLE im Boot. Erst dann kann Grossartiges entstehen.
Den Duden würde ich aber trotzdem immer wieder auf den Turm pappen.