Die Erstgeborene kämpft um ihre Rechte

Wir alle sind stets im Wandel begriffen. Und so erlebe ich zurzeit mit grosser Faszination, wie LadyGaga einer Raupe gleich sich wieder einmal verwandelt. Die Pubertät steht bei uns ja schon länger vor der Tür, mit allen Ausrufezeichen, die man sich dazu denken kann darf muss. Aber plötzlich kommen da auch die vernünftigen Seiten bei meinem Kind zum Vorschein. Ich erspähe mit einem Mal Facetten meines zukünftigen Lebens mit dieser jungen Frau, meiner Tochter.

Um die Rechte kämpfen

Beim Abendessen sitzt sie mit geradem Rücken da. Und überhaupt, warum sie eigentlich immer so früh ins Bett muss. Warum muss ihr kleiner Bruder denn nicht früher ins Bett als sie?! Das ist so unfair! Ich schaue sie von der Seite an und ziehe die Augenbrauen hoch. «Du hast nie danach gefragt. Von mir aus kannst du gerne länger wach bleiben, wenn du morgens trotzdem aus dem Bett kommst.»

Sie runzelt irritiert die Stirn. Und sagt nichts mehr.

Wir essen weiter.

Zur sonst üblichen Schlafenszeit meint sie: «Mami, ich lese jetzt noch ein bisschen.»

«Ja klar, mach das», sage ich freundlich.

Copperfield reklamiert. Aber er liegt im Bett. Und schläft bald ein.

Eine Weile später kommt LadyGaga zu mir und sagt: «Ich bin jetzt müde und gehe ins Bett.»

Ich begleite sie ins Zimmer, verabschiede mich.

«Danke, dass du mir vertraut hast, Mami, das ist so toll.»

Mein Herz, es hüpft.

Sie hat sich wieder einmal ihr Recht erkämpft, anders als es ein K2 vermutlich je tun muss. Was für eine starke Persönlichkeit sie doch ist!

Photo by Aditya Saxena on Unsplash

Die Betreuungsfrage

Ab August ist LadyGaga 6. Klässlerin – die oberste Klasse der Primarschule. Sie zeigt mir den neuen Stundenplan: dreimal Frühstunde. Und überhaupt, sie will nicht mehr in den Hort an den Mittagstisch oder zur Betreuung nach dem Nachmittagsunterricht. Da sind alles nur jüngere Kinder. Aber wir lassen das eh nicht zu, weil wir ja arbeiten müssen.

Copperfield empört sich: Es ist toll im Hort! Also ich will weiterhin dorthin gehen.»

Hätten wir das auch geklärt.

Mein Mann findet zuerst, LadyGaga muss weiterhin zur Betreuung, denn wir müssen schliesslich tatsächlich arbeiten. Aber ich bin nicht seiner Meinung. Unsere Familie steht an der Schwelle zu einer neuen Zeit, denn unsere Tochter hat das Bedürfnis nach und die Reife für mehr Entscheidungskompetenzen. Das ist doch ein gutes Zeichen!

Ich weiss noch, wie positiv meine eigenen Eltern reagiert haben, als ich mit 23 ausziehen wollte. Sie fanden es gut, dass ich mir das zutraute. Und ihre stete Zuversicht mir gegenüber hat mich so bestärkt in meinem Sein. Ich finde es gut, dass sich LadyGaga ihre Rechte erkämpft. Ich unterstütze ihren Wunsch nach Autonomie, denn er ist ein natürlicher, wichtiger Prozess zum Erwachsen werden. Doch diese neue «Berechtigungen» haben einen Preis. Also diskutieren wir aktuell darüber, wie das ausschauen könnte, wenn sie alleine zuhause ist und ich an einer Sitzung in Zürich bin, wie das geht mit kochen, Hund ausführen, Hausaufgaben machen, die Stille im Haus aushalten. Das muss sie alles nicht auf Knopfdruck können. Vielleicht machen wir zwei Schritte vor und einen zurück. Aber ich finde es total spannend und wunderbar, mich auf LadyGaga immer wieder aufs Neue einzulassen. Ich bin so stolz auf sie!

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