Wie hilft man einer Person in Trauer?

Als ich es weiss, sagen meine engsten Vertrauten im Team: Lass alles stehen und liegen und geh zu Deinem Papa. Wir kümmern uns um den Rest. Ich verlasse die Schweiz, als wäre ich auf der Flucht, im Wissen, dass Menschen, die ich liebe und schätze, mir zuhause den Rücken freihalten. Die Trauer wird erst später kommen; sie wird zu meinem täglichen Begleiter.

Tage später rufe ich die Familie und Freunde der Familie an, um ihnen allen zu sagen, dass Papa im Sterben liegt. Meine Mama kann es nicht. Ich brauche die Gespräche, um mich auf das Unausweichbare einzustellen. Um der Realität begegnen zu können. Ich muss es aussprechen. Papa stirbt. Wir weinen zusammen am Telefon.

Jeden Tag, den ich im Spital verbringe, bin ich im schriftlichen Kontakt mit meinen Freund*innen. Mit meinen Geschäftspartnern, der Redaktion. Mich erreichen stumme Nachrichten des Mitgefühls, ein Foto einer Blume, eine virtuelle Umarmung, ein «Ich bin bei Dir.» Keine*r drängt sich auf. Alle sind da, jede*r wie er oder sie kann. Irgendwann merke ich: Sie alle tragen mich, tragen unsere Familie. Der kollektive Schmerz ist greifbar in der Luft. Mein Papa wurde so sehr geliebt, der Schock über seinen Verlust sass und sitzt bei allen tief. Aber nicht nur er wurde geliebt, ICH werde geliebt.

Ich habe so viel Emotion bisher erst einmal erlebt in meinem Leben: als ich am Arm meines Vaters zum Altar schritt, um meinen Mann zu heiraten. Auch dort spürte ich die überwältigende Liebe unserer Familien und Freund*innen in der ganzen Kirche. Diese positive Energie war greifbar im Raum, alle freuten sich für uns. Und diesmal, diesmal trauerten alle mit uns, mit mir. Ich bin nicht allein. Ist das nicht schön?

Wie reagiert man auf Trauer?

«Vorher» war ich ahnungslos, wie man mit einer trauernden Person umgeht. Wenn man einander nahe steht, ist «mein Beileid» doch eigentlich schal. Mein Beileid, MFG, WTF. Das sagt man, wenn man nichts Besseres zu sagen weiss. Es ist ein Ausdruck der eigenen Ohnmacht. Wenn früher in meinem Bekanntenkreis ein Elternteil oder sonst jemand Nahestehendes verstorben war, wusste ich nicht, wie reagieren. Spricht man die Leute darauf an, auch wenn man es nur auf Umwegen erfahren hat? Lieber nicht? Kann ich damit umgehen, wenn jemand wegen meiner Anteilnahme plötzlich in Tränen ausbricht? Ich schwieg damals lieber, aus Ratlosigkeit, Unbeholfenheit.

Ich kann das auch heute noch verstehen, auch dann, wenn sich jemand mir gegenüber so verhält. Der Tod hat in der heutigen Gesellschaft nur noch einen Randplatz ergattert, er gehört nicht mehr zum Leben dazu. Wir haben verlernt, mit dem Tod umzugehen. Nur weiss ich heute viel mehr als früher. Ich fühle mich wie Harry Potter, der auf dem Weg nach Hogwarts plötzlich die unsichtbaren fliegenden Pferde vor den Kutschen sehen kann, weil er im Schuljahr davor den Tod eines Mitschülers hautnah hatte miterleben müssen. Er hat im Angesicht des Todes seine kindliche Unschuld verloren, ist «sehend». Und mir geht es gleich. Ich sehe es jetzt.

Was? Dass der Tod verbindet. Er verbindet, bindet uns Hinterbliebene. Die erlebte Woge des Mitgefühls war überwältigend und hat mich durch die Tage getragen. Was für eine Kraft doch die Liebe ist! Alleine zu wissen, dass so viele Menschen an mich, an uns, an Papa gedacht haben, gab mir Frieden in dieser furchtbar quälenden raumlosen Zeit des Wartens, bis Papa endlich sterben konnte. Was mir half, war nicht der Wunsch nach «Kraft» für mich, auch wenn dieser Wunsch natürlich lieb gemeint war und auch sehr geschätzt wurde. Aber: «Ich wünsche Dir viel Kraft, MFG».

Trauer reisst dich mit – Photo by Samuel Austin on Unsplash

Was mir persönlich half, war zu spüren, dass man an mich denkt, für mich und mit mir da ist, auch stumm. Wirklich DA. Ich fühlte mich apathisch, neben der Spur, spürte keine Kraft in mir. Es gab gefühlt keine Emotion ausser der Trauer. Und doch stimmt das nicht. Es war die Liebe, die uns alle begleitete und letzten Endes Papa wohl auch den Abschied ermöglichte. Denn ich kann mir nicht vorstellen, dass er diese Liebe nicht gespürt hat.

Wenn ihr euch also das nächste Mal fragt, wie ihr einer trauernden Person am besten beistehen könnt: am besten, indem ihr einfach da seid:

Was auch hilft: konkrete Aussagen. Ehrlichkeit. «Ich weiss/kann nur ahnen, wie schlimm das alles für Dich sein muss. Ich denke an Dich und Deine Familie.» «Du bist nicht allein.» «Die Trauer wird Dich nun eine Weile begleiten.» «Ich weiss nicht, was ich sagen soll/wie ich Dir helfen kann. Es tut mir so leid.» «Ich weine mit Dir.»

Was ich über die Trauer bereits gelernt habe

Jeder trauert anders. Jeder verarbeitet anders, geht anders mit dem Verlust um. Es gibt kein Richtig oder Falsch. Man darf weinen, schrei(b)en, stumm sein. Genauso darf man, wenn man jemanden kennt, der trauert, unterschiedlich reagieren. Was man aber nicht sollte, ist die Trauer einer anderen Person zu (be)werten – gerade weil Trauer sich unterschiedlich zeigt. Die Trauer kommt bei mir in Wellen und reisst mich jeweils regelrecht mit. Menschen in meinem Umfeld, die ebenfalls schon einen Verlust erlebt haben, bestätigen mir diesen Eindruck. Das muss aber nicht für alle so sein.

Die entstandene Lücke wird nie mehr geschlossen werden, und das soll sie auch nicht. Ich bin jetzt sehend.

4 thoughts on “Wie hilft man einer Person in Trauer?

  1. viele Beileidsbekundungen und vor allem die vielen Beileidskarten mit persönlichen Erinnerungen und den Gemeinsamkeiten und den Erinnerungen haben mir sehr geholfen.
    Ich habe es schriftlich, wie sehr sie geliebt und geschätzt wurde und ich weiß, dass ihre Freunde sie genauso vermissen wie ich und meine Töchter.
    Ich weiß jetzt, wie man sich fühlt und gehe nicht auf Abstand, wenn jemand trauert, ich helfe / unterstütze, suche das Gespräch oder schreibe eine Beileidskarte mit persönlichen Worten und Erinnerungen.
    Und ich weiß, dass es sehr lange sehr weh tut.
    Das sind jetzt meine Lebenserfahrungen.

    1. Mir hat beim Tod meiner Mutter geholfen, wenn sie etwas Schönes erzählten über sie. Meine Mutter lebt seit 26Jahren nicht mehr. Es ist wundervoll wenn ich Menschen antreffe die mir noch heute sagen das sie ihnen fehlt und mir eine Gemeinsamkeit erzählen. Es gibt immer noch Momente wo ich Mami vermisse. Die Wunde heilt, es ist die Narbe die schmerzt.

  2. Ich habe innerhalb eines Jahres mein ältestes Kind und meine Mama verloren. Ich war sehr erstaunt und berührt wie die Klasse meines Sohnes Abschied genommen, es kam von jedem einzelnen aus seiner Klasse eine Karte. Ich war berührt als ich die vielen lieben Worte und Gedanken über meinen Sohn gelesen habe.
    Bei beiden Todesfällen war ich diejenigen die sie gefunden habe und alle informieren musste. Ich hat mich innerlich fast zerrissen.
    Was geholfen hat? Viele Gespräche, Gedanken und miteinander weinen.
    Wir vermissen sie jeden Tag, es gibt bessere und schlechtere Tage. Aber wir kämpfen uns durch.

  3. Vor etwas über einer Woche ist mein Mann und Papa unseres 4jährigen Kindes in meinen Armen gestorben. Ich gehöre nun auch zu den Sehenden. Danke, dass du mir für dieses Gefühl Worte gegeben hast!

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