Für Sommer 2021 hatten wir Ferien bei meinen Eltern geplant, so wie die vielen Jahre zuvor. Wir wären freitags losgefahren, hätten unterwegs übernachtet und wären dann am Samstag bei ihnen gewesen. 800 Kilometer macht man nicht mal gerade so, mit Kindern sowieso nicht.
Schon eine Weile hatten wir mit einem neuen Familienauto geliebäugelt, doch nie konkret. Unser Auto lief ja noch gut. Noch in der Woche vor jenen «Ferien» diskutierten wir mit meinem Bruder darüber, dass wir dann in zwei Jahren das Auto verkaufen würden, um auf Elektro umzusteigen.
Es kam alles ganz anders.
Am Wochenende vor der Reise fing das Auto an zu spinnen, und nach dem Besuch in der Garage am Montagfrüh hiess es: Getriebeschaden.
Pech, mag man sagen. So Dinge passieren
Nur: Zugleich war klar geworden, dass mein Vater im Sterben lag. Es kam auf jede Minute an. Wir mussten also nicht nur einen Wagen auftreiben. Nein, wir mussten es schnellstmöglich tun.
Ich weiss nicht, wie wir es schafften, doch wir schafften es. Aber kein Elektroauto, das war 2021 für die 800-km-Strecke und unter diesen Bedingungen einfach zu früh für uns. Am Donnerstag reisten wir ab. Am Freitag konnte ich zu meinem Vater ins Spital, wo er eine Woche später verstarb. Was hier nur zwischen den Zeilen erkennbar ist, ist das Trauma, das ich mit diesem panischen Autokauf verbinde.
Das Herz setzt aus
Letzten Herbst nun fing mein eigenes kleines Stadtauto an zu hüpfen. An der Ampel, plötzlich, so als würde sein Herz aussetzen. In der Garage fanden sie nichts heraus, es wurde auf die Kälte geschoben. Alles i.O. Ich gewöhnte mich daran, es war nicht wirklich schlimm. Im Februar dann musste mein zehnjähriger Nissan Micra zur MFK, in der Garage wurden diverse Unterhaltsarbeiten für Fr. 1’700 durchgeführt (Autsch!), damit es mit der Prüfung klappte. Alles i.O.
Als ich danach das Auto in der Garage abholte, war ich sehr gestresst, hatte noch Jetlag von unseren Ferien. Es kam, wie es kommen musste. Im Parkhaus rammte ich seitlich die Wand. Schaden: Fr. 1’500, wenn es nur ausgebessert wird.
Eigentlich wollte ich in ein, zwei Jahren ein neues Auto kaufen (haha…). Elektro natürlich. Und wieder kam alles anders als geplant. Ich hatte nicht nur den Parkschaden. Nein, wieder hüpfte der Wagen. Nur blinkte diesmal die Lampe für Motorschaden. Sein Herz setzte aus. In der Garage: nix zu finden. Aber immer wieder die blinkende Lampe, wenn auch nur gelb und nicht rot – das wäre wohl schlimmer gewesen, liess ich mir fachmännisch erklären. «Frau Bonini, ich glaube, wir kommen aber trotzdem nicht drum rum. Es muss der Automat sein. Das sieht nicht gut aus.»
Ein Autokauf ist ein Prozess. Ich freundete mich damit an, dass der Moment für ein neues Auto wohl doch jetzt gekommen war und nicht doch erst in zwei Jahren.
Und als ich in der Garage stehe und der Entscheid für ein Auto gefallen ist, läuft über Lautsprecher «How do I say goodbye» von Dean Lewis. Ich habe euch erst vor kurzem von diesem Lied erzählt. Ich zittere, suche nach Halt. Tränen strömen mir übers Gesicht. Papi. Er ist da. Er muss da sein. Er will mir etwas mitteilen.
Nicht allein
In den kommenden zwei Wochen teste ich drei Autos. Eins wird verworfen (ein Hybrid ohne Plugin), zwei Elektro-Autos sind im Rennen. Es kämpfen Herz und Verstand gegeneinander. Eins ist ein kleines Stadtauto, das andere eben – nicht.
Ich sitze in meinem jetzigen Auto auf der zweiten Testfahrt. Im Radio läuft «How do I say goodbye», direkt gefolgt von «Beggin’» von Maneskin. Ich muss lachen. Mein Papi blickt mir beim Fahren über meine rechte Schulter und sagt anerkennend: «Doch, nimm den! Der ist gut, der ist sicher.»
Ich fand es immer doof, sich über ein Auto zu definieren. Bis mir mein Papi jetzt bei der Auswahl geholfen hat. Ich weiss nicht, warum wir uns über das Auto nahe sind. Vielleicht gerade, weil das damals, im Sommer 2021, alles so furchtbar ablief? Noch immer zieht es in mir alles zusammen, wenn ich daran zurückdenke.
Nein, ich denke nicht, dass ich je heilen werde. Ich werde Dich auf immer vermissen. Aber es ist schön, etwas gefunden zu haben, wo ich Dich nahe bei mir spüre.
Liebe Séverine, Gänsehautmomente beim Lesen deiner Zeilen… Ich kann zu gut nachvollziehen, dass die stressige Autogeschichte damals mit einem Trauma verbunden war. Ich hoffe, dass du nun aber das Thema Auto mit anderen, schöneren Gefühlen verbinden kannst. Herzlicher Gruss, Rita (übrigens fuhr mein Vater ein Nissan Micra)
Liebe Rita
Wie krass, dass Dein Vater auch einem Nissan Micra fuhr!! Das berüht mich sehr <3
LG Séverine