Wenn Teenager krank sind

Wenn einem Baby etwas fehlt, schreit es. Windel voll? Schreien. Bauchschmerzen? Schreien. Hunger? Schreien. Krank, Schmerzen, Angst? Schreien. Was aber, wenn der Teenager krank ist? Brüllt er dann?

Schreien ist die einzige Art, sich als kleiner Mensch in Not Gehör zu verschaffen. Als Eltern sind wir zunächst komplett überfordert mit dem allgegenwärtigen Anspruch unseres Babys, auf alles eine Antwort – und zwar bitte die richtige! – zu haben. Irgendwann aber haben wir den Dreh raus und können bedürfnisorientiert für das Kind da sein. Wir sind gewissermassen wie die «Drei ???» – wir lösen jeden Fall. Wir «lesen» die Kinder, was besonders dann (überlebens!)wichtig ist, wenn sie krank sind. Wir müssen für sie da sein und verfallen da gerne auch in Selbstaufgabe. Das ist richtig so. Wenn die Kinder dann Teenager sind, können sie dann ja differenzieren und konkreter sagen, was ihnen fehlt. Sie helfen mit. Es ist schliesslich, wie wir Eltern wissen, nicht immer alles «der Bauch!», auch wenn das Kind das nur so artikulieren kann. Alles easypeasy also, wenn Teenager krank sind? Spoileralarm: nein.

Teenager krank – ein Fallbericht

Der Teenager, üblicherweise im Status «Lass mich!!», ist krank, und zwar so richtig. Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen, you name it. Sofort geht mein Notstrom-Aggregator an, alle Funktionen (Job! Eigenes Leben!) werden ausgesetzt und auf Standby-Modus gestellt. Neandertaler-Mama muss dafür sorgen, dass die Brut überlebt.

Früher beim Baby ging ich meine innere Checkliste durch (ist es die Windel? Hunger? Kalt? Heiss?), heute lese ich dem Teenager einfach jeden Wunsch von den Augen ab. Hier ein zusätzliches Kissen, da ein Glas Wasser. Brauchst Du noch Kleenex? Warte, ich leere mal rasch den Papierkorb. Ich gehe auf in meiner Aufgabe, ich werde gebraucht.

In der dritten Nacht im Status krankus Teenagerus werde ich um 3 Uhr von einem Wimmern geweckt: «Maaaamiiiiiiii………… Maaaaaa……mmmiiiiiiiii.» Ich torkle einem Zombie gleich ans Krankenlager. «Ich kann nicht schlafen.» Ähä. Ich jetzt auch nicht. «Wie kann ich Dir helfen mein Kind?» «Ich …… weiss…. es… nicht. Bitte…… hilf…… mir.»

Windel-Hunger-heiss-kalt hilft hier nicht mehr. Pragmatismus zählt aber weiterhin. «Wo hast Du Schmerzen?»

«Ich …… weiss…. es… nicht. Haaaaaallls?»

Ok, also Hals. Ich lasse mir das Gurgeli zeigen und komme zum Schluss: Tabletten suchen gehen. Immer noch schlaftrunken wühle ich mich durch den Medikamentenschrank. Da, eine Packung Neo-Angin. Und Halsspray ist auch noch da. Ich sprühe, gebe Tabletten. Jetzt bloss nicht vor Müdigkeit mit dem Kopf auf den Boden knallen. Du kannst das Séverine, Du kannst das.

«…. Haaaaals.»

Hm. Könnte es eine Angina sein? Wenn sie doch so Schmerzen hat. Mein Teenager soll keine Schmerzen haben! Es ist mitten in der Nacht, ich kann keinen Arzt anrufen. Ich lasse mir nichts anmerken gegenüber dem kranken Teenie. «Probier zu schlafen, der Spray wirkt sicher», murmle ich. Wie ist das überhaupt mit Angina? Braucht es da zwingend Antibiotika?

Zitronenwickel in da house

Ich gehe aus dem Teenie-Zimmer in mein Bett (wo Mann seelenruhig schläft, ist ja auch 4 Uhr früh, der Arme!). Die nächste halbe Stunde google ich Hausmittel bei Halsschmerzen. Wenn die doch so schlimm sind?!

Um 4.30 Uhr gehe ich in die Küche und bereite zum ersten Mal ever einen Zitronenwickel vor: Zitrone einstechen, in Scheiben schneiden, auf Stoffwindel legen (die habe ich tatsächlich immer noch und bin grad sau-froh drum, ey!), Windel einschlagen und Zitrone ausdrücken.

Zurück zum (schlafenden!) Teenie, wo ich den Zitronenwickel am kranken Hals anbringe (Teenie drum herum schläft): Zitronenwindel äh -wickel, darum ein Küchentuch, dann ein Schal zum Fixieren, fertig. Stossgebet gen Himmel: lass es wirken bitte.

5.30 Uhr: Ich torkle zurück ins Bett.

Es ist Wochenende, ich stehe um 7 Uhr statt wie sonst um 6 Uhr auf. Der Notstrom-Aggregator ruckelt, ich bin im Zombie-Modus. Gefühlt 100 neue graue Haare zieren mein Skalp und ich habe unbekannte Falten im Gesicht wie eine Schildkröte. Schlafentzug mit 46 ist einfach was anderes als eine durchgemachte Nacht mit 20. Wie habe ich überhaupt die Babymonate mit den Kindern überlebt?!? Himmel zum Glück habe ich kein Baby mehr im Haus.

Um 10 Uhr halte ich es nicht mehr aus und lege mich wieder hin.

Bereits um 10.15 Uhr werde ich aus dem Delirium geweckt: «Maaaamiiiiiiii………… Maaaaaa……mmmiiiiiiiii.»

Meine Zehennägel rollen sich nach hinten. Wankend trete ich dem rufenden Teenie entgegen.

«Was ist denn jetzt? Bitte…. lass mich schlafen. Hat der Wickel nicht gewirkt?»

«Nein. Doch. Ja. Ich …… weiss…. es… nicht…. Mein Bauch. Oder doch nicht?» Krankus Teenagerus hält sich den Bauch.

Halsweh und dann Bauch? Wie passt das zusammen? Meine Augen glühen vor Müdigkeit. Und dann fällt mein Notstrom-Aggregator aus. Ich habe einen Meltdown.

«Ich habe nichts geschlafen. Nichts! Ich kann Dir nur helfen, wenn Du mich schlafen lässt. Ich kann so nicht funktionieren. Also wenn es Dir nicht wirklich mies geht, dann lass mich jetzt einfach schlafen. Ich drehe sonst durch!!! Danach bin ich gerne wieder für Dich da. Aber jetzt nicht.»

„Bitte nicht stören“-Schild in einem Hotel in Schottland, oder: Mama on the rocks im Zombie-Stadium nach Schlafentzug.

«OK», piepst es mir kleinlaut entgegen. Der krankus Teenagerus geht zurück in sein Zimmer, legt sich ins Bett und stellt ein Hörspiel ein.

Ich gehe in der Geschwindigkeit eines Mammuts die Treppe hoch in mein eigenes Zimmer, wo ich auch einem Mammut gleich ins Bett falle.

Eine Stunde später bin ich ein neuer Mensch, geduscht und wieder voll einsatzfähig für den kranken Teenie. Und helfe gerne und bin gerne für das Kind da.

Die eigenen Bedürfnisse zählen, auch wenn der Teenager krank ist

(Zitronen)windel-Hunger-heiss-kalt…. Ich glaube nicht, dass das früher einfacher war mit dem Abchecken der Bedürfnisse beim Baby. Ich erinnere mich zudem noch allzu gut daran, wie sich das mit kleinen, kranken Kindern anfühlte, wenn die Nacht zum Tag wurde und man verzweifelt nach Lösungen suchte, weil das Kind selbst gar nicht artikulieren konnte, was ihm fehlt. Diesem Mombie-Status weine ich keine Träne nach. Aber was mit grösseren Kindern tatsächlich besser wird: Die eigenen Bedürfnisse dürfen wieder in den Vordergrund rücken, auch wenn der Teenager krank ist. Ich finde, man darf seinem (grösseren) Kind sagen: «Hier ist meine Grenze.» Im Flugzeug heisst es im Notfall auch: Zuerst sich selbst die Sauerstoffmaske anziehen, erst danach dem Kind. Nur so können wir für unsere Kinder sorgen – wenn es uns selbst gut geht. Das versteht auch ein kranker Teenager. Aber dass der Teenie im Status krankus Teenagerus besser als das Kleinkind benennen kann, wo genau der Schuh drückt… Forget it!! Somit bleibe ich also bis auf Weiteres bei Justus Jonas: Ich löse jeden Fall! Nachdem ich genügend geschlafen habe.

 

PS: Die Zitronenwickel haben, nach mehrfacher Anwendung, übrigens geholfen und nach Aussage des Teenagers auch echte Linderung verschafft.

1 thoughts on “Wenn Teenager krank sind

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert