Warst Du schon mal in der Schweiz? Was für Klischees kennst Du? Wie nimmst Du die Schweiz wahr? Heute beantwortet die zauberhafte @MaraKolumna, die auf Twitter gefühlt viertelstündlich ihren Namen umändert (sehr erfrischend für mein verstaubtes Gehirn, da werden ordentlich Synapsen durchgeputzt!), diese Fragen. MaraKolumna bloggt ansonsten herrlich satirisch und mit viel schwarzem Humor über Das zweite Kind sind Zwillinge. Sie ist definitiv einer meiner Herzensmenschen, die ich unbedingt bald live kennenlernen will und muss!
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Süddeutschland beginnt ungefähr spätestens bei Hannover, und die Schweiz liegt in Österreich.
Das war in etwa mein Wissensstand über Gefilde außerhalb meines Geburtsortes, der mitten in Deutschland, ca. 60 km nördlich von Hamburg angesiedelt ist.
Das erste Studium beamte mich schon ein gutes Stück in den Süden, nämlich nach Bonn, und ich verstand die Welt nicht mehr. Die sprachen Dialekt! Sogar die Menschen in meinem Studiengang! Ich rühmte mich, die einzige zu sein, die ein glasklares Hochdeutsch sprach, aber ich lernte zu verstehen.
Vielleicht war dieser Zwischenaufenthalt im gemütlichen Kölner Vorort aber ganz gut, denn kaum hatte ich mich an die bis zu 40 Meter in den Himmel ragenden Berge, die über die Zebrastreifen rasenden Busse und die ungewöhnlich hohe Anzahl an Menschen pro Quadratmeter gewöhnt, zerrte mich der Mammon bis an das Ende der Welt:
Die Schweizer Grenze.
«Vielleicht habe ich dort unten eine Chance auf einen Job?», dachte ich hoffnungsvoll, «wer bewirbt sich schon nach Süddeutschland??!»
Es waren dann doch mindestens ein Dutzend, wie sich bei den Vorstellungsgesprächen herausstellte. In tiefer Gewissheit, dass ich mal wieder keine Chance haben würde, stellte ich Unmengen an Fragen und bewies damit offensichtlich irgendeine Fähigkeit, die mich für die Stelle tauglich erscheinen ließ.
Die Entscheidung war hart, aber das Geld wog härter. Ich zog in den Dunstkreis Basels und musste fortan stets meinen Personalausweis mit mir führen, wie mir die Schweizer Grenzbeamten erklärten, die mich ohne erwischten, «weil man das im Grenzgebiet eben so macht».
Mein Ort war so klein, dass ich die Schweizer Grenze zweimal überqueren musste, wenn ich in den deutschen Nachbarort radelte, um dort einen Hauch von Kultur zu eratmen, aber die Schweizer Grenzbeamten machten mir maximal ein halbes Jahr Angst. Danach ließen sie mich mit meinem Radel passieren und winkten mir sogar freundlich zu.
Das Alemannisch, das in meiner neuen Heimat gesprochen wurde, war zunächst ein Buch mit mindestens 28 Siegeln, und ich gewöhnte mir an, meine Einkäufe mit großen Geldscheinen zu erledigen.
Wollte ein Kunde mir etwas erklären, mühte ich mich, im Stillen Stichworte zu übersetzen, und stellte Gegenfragen, um sehr peinliche Irrtümer auszuschließen.
Ein alemannisches Kind rief mir einmal «Gutsi? Gutsi? Gutsi?» zu, und ich winkte freundliche und sagte: «Auf Wiedersehen, bis bald, tschüss», bis mich jemand darüber aufklärte, dass «Gutsi» in Wahrheit «Bonbon» heißt.
Die Nähe zur Schweiz machte meine ersten Begegnungen mit Schwitzerdütsch unumgänglich. «Könnten Sie etwas langsamer sprechen?», bat ich in den ersten 400 Jahren meines Aufenthaltes. Das taten sie, die Schweizer. Außerdem sprachen sie ab dann SEHR LAUT mit mir und benutzten Zeichensprache.
Auch sonst schienen sie mir recht freundlich. Im Rahmen meiner Arbeit lernte ich einen inzwischen verstorbenen Schweizer Künstler kennen, HR Giger, der «Alien» gestaltete. Giger zeigte Nachsicht mit meiner Jugend, als ich dumme Fragen stellte.
Außerdem hielt ich einen Vortrag vor Schweizer Kollegen und blamierte mich bis auf die Knochen, als ich auf Nachfrage erklärte, was ich mit «die älteren Menschen» meinte: «Die über 30-Jährigen», gab ich brav Auskunft, und die Zuhörer johlten, warfen mich aber nicht hinaus. Ich war wohl die Jüngste im Raum.
Mein einziger längerer Aufenthalt in der Schweiz war am Thuner See. Als ehemalige Schleswig-Holsteinerin saß ich etwa drei Tage auf einer Bank am Ufer und dachte darüber nach, ob diese Berge wirklich echt sein konnten. Ich bin mir immer noch nicht sicher. Aber beeindruckend waren sie.
Mein Aufenthalt im ersten Job weilte nicht lang. Nach etwa zwei Jahren beschloss mein nächster Arbeitgeber, dass die bisher gesammelte Berufserfahrung ausreichend sei, um mich einzustellen. Und ich dankte Gott.
Wenn ich allerdings gewusst hätte, dass Mama OTR im Herzen der Schweiz lebte und atmete, wer weiß, vielleicht hätte ich mir den Umzug dann noch einmal überlegt.