Momentzentriertheit bei Kindern

Als Erwachsene wissen wir: «Gut Ding will Weile haben», was so viel heisst wie: Alles zu seiner Zeit. Wir verfügen über eine gesunde Impulskontrolle und flippen in der Regel nicht aus, wenn wir etwas nicht sofort erhalten. Als Kind hingegen lebt man im Moment. Alles muss sofort da sein, Bedürfnisse müssen sofort befriedigt werden. Instant Gratification nennt man das auch oder bei Erwachsenen eine Art Präkrastination, das Bedürfnis, alles sofort zu erledigen. Kinder leben Momentzentriertheit.

Und wisst ihr was? Es macht mich w.a.h.n.s.i.n.n.i.g.

Die nervigen Seiten der Momentzentriertheit

Natürlich ist es schön, wenn Kinder im Hier und Jetzt leben. Wenn wir die Welt mit ihren Augen wieder neu sehen dürfen, uns zum Beispiel am Kleinen erfreuen. Im Alltag sieht es aber gerne auch mal so aus:

Letzte Woche waren hier Schulferien. Naiv wie ich bin, dachte ich, dass ich das Homeoffice gut hinkriege, trotz zwei Kindern zuhause, weil – die sind ja schon sooo gross. Öhö. Am Donnerstagmorgen meinte LadyGaga unvermittelt, dass sie heute Cupcakes backen wolle. Damit hatte ich prinzipiell kein Problem, backe ich doch ebenso gerne. Ich wollte aber morgens noch in Ruhe arbeiten, um dann nachmittags eben mit ihr zu backen. Meine Tochter wollte aber SOFORT und ALLEINE backen. Leben in Moment oder auch Hardcore «detachment» parenting. Und auch wenn der Wunsch nach Selbständigkeit per se verständlich ist, wusste ich, dass LadyGaga meine Hilfe brauchen würde, denn sie wollte zum ersten Mal (!!!) spontan (!!!!) eine Buttercremetorte (!!!!!!!) machen, türlich. Aber ohne Hilfe bitte.

Und Montessori flüsterte mir mahnend ins Ohr: «Hilf mir, es selbst zu tun!»

Jaaaa, himmelarschundzwirn, ABER ICH MUSS NOCH ARBEITEN AM MORGEN!!!

Streit war ob der unterschiedlichen Vorstellungen vorprogrammiert. Und wo Copperfield dabei abblieb mit SEINEN Wünschen, ist hier mal aussen vor gelassen. Gebacken wurde schlussendlich am Nachmittag, die Küche sah aus wie Sau, die Nerven lagen blank. Aber LadyGagas Torte war geil und sie hat es fast ganz alleine geschafft. Montessori klopfte mir abends aufmunternd auf die ermattete Schulter und flüsterte: «Gönn Dir einen Prosecco.» Da war ich aber auch schon eingeschlafen.

Momentzentriertheit auf der Uhr
Leben im Moment: Ist nun halb zwölf oder 11:30 Uhr? Alles eine Frage der Perspektive – Photo by Icons8 Team on Unsplash

Die Vorstufe zum Alptraum

Direkt im Anschluss an den Back-Donnerstag waren die Kinder dann drei Tage bei den Schwiegereltern (Devise: «Mach mal Pause als Elter, sonst drehst Du durch.»). Kaum waren wir am Sonntag gegen Abend wieder zu viert zuhause, erklärte LadyGaga in einem Akt purer Momentzentriertheit, sie wolle sich jetzt um ihre Tomaten kümmern. (Wohlgemerkt, sie hat keine Tomaten!!) Sie kramte im Gartenschrank nach ihrem verwaisten, mobilen Gewächshaus vom letzten Jahr, organisierte Tütchen mit Samen (Tomaten?), Tücher, Löffel, Säcke, you name it. Ich musste mich in dieser Zeit um die wöchentliche Wäsche kümmern und beachtete sie nicht weiter. Ihr kennt das: Hauptsache, das Kind ist beschäftigt…

Innerlich fluchte ich aber ehrlich gesagt schon ein wenig. Warum musste das ausgerechnet JETZT sein?! Wenn meine Tochter mir etwas Zeit geben würde, könnte ich ihr helfen und alles bereitlegen, so dass kein allzu grosses Chaos entsteht. Aber nein, es musste SOFORT sein, Instant Gratification oder eben Leben im Moment. Grummelnd dachte ich an das Chaos, das es nachher zu entsorgen geben würde. Aber eben: Hauptsache, die Kids sind irgendwie beschäftigt. Meine eigene Momentzentriertheit wedelte mir huldvoll zu: Die Wäsche muss JETZT gewaschen werden. (Jaa, ich merke es selber, hösch.)

Plötzlich ein gellender Schrei im Haus.

Und Weinen. Und Schreien.

«LadyGaga, was ist denn lo-oooos?!» rufe ich etwas entnervt, aber auch besorgt aus dem Keller.

Ein Heulen geht durchs Haus.

Dann, schluchzend: «Käfer. Überall… Käfer!!!»

Ich: «…»

Schluchzen.

Ich renne alarmiert in ihr Zimmer. Wo dicke Käfer hektisch auf dem Boden herumwuseln, die ich mit blossem Fuss beherzt zertrample (würg), sonst verschwinden sie noch in irgendeiner Ritze. Die Käfer sind übrigens mit dem mobilen Gewächshaus ins Zimmer gekommen, falls Ihr Fragen habt. Freude überall.

Yep. Made my day #imfall. Das war dann wohl Präkrastination für Erwachsene – der Drang, sofort etwas zu entsorgen.

Und jetzt kommt’s: Morgen gibt es dann wieder eine neue gelebte Momentzentriertheit, als wären da nie Käfer gewesen. Dann habe ich aber definitiv Schuhe an.

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